Die zweite Todsuende
nicht.»
«Dann also der Bote aus dem Delikatessenladen?»
«Nein, das war ganz anders.» Simon hatte sich wieder gefaßt. «Miss Hemley sagte mir über die Gegensprechanlage, der Botenjunge mit dem Essen sei draußen. Ich ging hinaus, bezahlte und brachte die Sachen selber herein. Aber ich begreife nicht, wieso …»
«Nichts, nichts», beschwichtigte Delaney ihn. «Ich bin ein altes Weib; ich geb's ja zu. Ich möchte immer alles ganz genau wissen, mir vorstellen können, wie sich etwas zugetragen hat. Jetzt weiß ich es. Ihr Büro ist wirklich sehr schön, Mr. Simon.» Er machte einen kleinen Rundgang, und Sergeant Boone folgte ihm dabei. Der Chief besah sich die Karikaturen an der Wand, strich über ein eichenes Bücherregal und über die Marmorplatte eines Abstelltischchens. Und sah zur Tür mit der Milchglasscheibe hinüber. Sergeant Boone ebenfalls. Beide bemerkten das kleine Stück Kreppband, das sich dank der Korridorbeleuchtung deutlich auf der Scheibe abzeichnete.
Nochmals wurde Dankeschön gesagt, nochmals wurden reihum Hände geschüttelt. Das gleiche im Vorzimmer bei Susan Hemley. Auf dem leeren Korridor ließ Delaney den Sergeant warten, bis er das Krepp-Papier von der Milchglasscheibe entfernt hatte. Er drehte es zwischen den Fingern zu einer Kugel und steckte sie in die Tasche.
«Vernichtung von Beweismaterial», sagte er dabei, «eine strafbare Handlung»
Sie waren nicht allein im Fahrstuhl, konnten also nicht reden. Unterwegs zum Wagen sagte Delaney: «Ich glaube nicht, daß er gelogen hat, als er beschrieb, wie er selber die Sandwiches in sein Arbeitszimmer geholt hat, überprüfen Sie das aber trotzdem in dem Laden, der ihn beliefert hat. Stellen Sie fest, ob der Botenjunge Geltman oder Susan Hemley gesehen hat und ob wirklich alles so abgelaufen ist, wie Simon behauptet. Fragen Sie die Hemley, ob sie Geltman gesehen hat, während die Tür offenstand. Laden Sie sie ruhig noch mal zum Essen ein.»
«Kann ich das nicht telefonisch erledigen, Chief?» fragte Boone.
Überrascht blickte Delaney ihn von der Seite an.
«Mögen Sie sie nicht?» fragte er.
«Sie jagt mir Angst ein», gestand der Sergeant.
«Laden Sie sie trotzdem zum Essen ein.» Delaney lächelte. «Sie wird schon nicht beißen.»
«Da bin ich mir gar nicht so sicher», sagte Boone beklommen.
Sie kurbelten alle Fenster herunter, blieben eine Weile im geparkten Wagen sitzen und warteten darauf, daß es kühler wurde.
Schweigend dachten sie über die Perspektiven nach, die sich da möglicherweise eröffneten.
«Geltman hätte also fortgehen können», sagte Boone schließlich, «ohne von der Hemley gesehen zu werden.»
«Richtig», stimmte Delaney zu. «Riskant, aber möglich. Mithin müssen wir ein weiteres Alibi streichen. Jetzt hat überhaupt keiner mehr eines, das hieb- und stichfest ist.»
Düster nickte Boone.
«Sergeant», sagte Delaney gedankenverloren, «ich bin voreingenommen.»
Boone drehte sich um und sah ihn an.
«Wie das, Sir?»
«Ich lasse mich durch nichts von zwei völlig unvernünftigen Vorurteilen abbringen. Erstens verabscheue ich Rosenkohl. Und zweitens - er machte eine gewichtige Pause - «zweitens traue ich Männern nicht, die am kleinen Finger einen Ring tragen.»
«Ach das», grinste Boone.
«Ja», sagte Delaney. «Das. Forschen Sie mal nach, ja? Vielleicht ist er vorbestraft.»
«Julian Simon?» fragte Boone ungläubig. «Vorbestraft?»
«Ganz recht.» Delaney nickte. «Das könnte gut sein.»
«Donnerwetter!» staunte Boone und bewunderte die Tonpfeifen, die auf einem Sims in Kopfhöhe aufgereiht waren. «Diese Kneipe muß ja tausend Jahre alt sein.»
«Nicht ganz», sagte Delaney. «Allerdings hat sie auch nicht erst gestern aufgemacht.»
Sie saßen in Keen's English Chop House und warteten auf Lieutenant Bernhard Wolfe. Der Chief hatte eine Nische reservieren lassen. Als der alte Kellner fragte: «Einen Aperitif, die Herren?» bestellte der Chief einen trockenen Gibson und schaute Boone fragend an.
«Für mich bloß Tomatensaft», sagte der Sergeant dumpf.
Der Kellner nickte verständnisvoll.
«Falls dieses Lokal jemals schließt», sagte Delaney und sah sich um, «ist das für mich das Ende. Das Pavillon und das Chauveron und ähnliche Restaurants gibt's zwar auch nicht mehr, in denen war ich aber nie. Leid tut es mir um Lokale wie Steuben's Tavem, Blue Ribbon und Connolly an der 23rd Street. Das waren gute, solide Speiselokale. Facettenfenster, Lampen mit Stoffschirmen, eine Bar
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