Die zweite Todsuende
zeigte den Korridor hinunter. Vor der walnußgetäfelten Tür mit den goldenen Buchstaben Simon & Brewster, Rechtsanwälte, blieb er stehen. Fragend sah er Delaney an. Der Chief flüsterte ihm zu:
«Als Susan Hemley zu Simon hineinging, in welche Richtung ging sie?»
Boone überlegte einen Augenblick, orientierte sich und zeigte dann weiter den Korridor hinunter. In dieser Richtung gingen sie bis zu einer Tür mit Milchglasscheibe, die nur eine Nummer aus Messing aufwies. Sie gingen daran vorbei, fanden eine zweite, ebensolche Tür, ebenfalls mit einer Zahl gekennzeichnet. Delaney sah Boone fragend an, doch der Sergeant zuckte hilflos mit den Achseln.
Der Chief machte kehrt, stellte sich so neben die erste Tür, daß sein Schatten von innen nicht gesehen werden konnte, und klebte das Kreppband rasch in Augenhöhe nahe am Rahmen auf das Glas.
«Hier brennt Licht», flüsterte er dabei. «Wenn das die Tür zu Simons Arbeitszimmer ist, sehen wir das Krepp-Papier von innen und wissen, es ist nicht die Klotür oder die zum Archiv, sondern die richtige. Los jetzt…»
Er ging voran und nahm seinen flachen Strohhut ab. Es war der 1.Juni.
«Da sind wir, Miss Hemley.» Boone lächelte. «Pünktlich wie bestellt.»
«Das sind Sie wirklich, eher ein bißchen zu früh. Mr. Simon telefoniert gerade. Sobald er fertig ist, sage ich ihm, daß Sie da sind.»
«Miss Hemley, ich möchte Sie mit Mr. Delaney bekanntmachen. Mr. Delaney, dies ist Miss Susan Hemley.»
Sie reichte ihm die Hand, über die Delaney sich sehr artig beugte, fast als wolle er ihr einen Handkuß geben.
«Miss Hemley, freut mich, Sie kennenzulernen. Jetzt kann ich die Begeisterung meines Sergeants verstehen.»
«Ach, wenn Sie wüßten! Das ist ein großes Ereignis für mich! Ich habe so oft von Ihnen in der Zeitung gelesen. Sie sind doch berühmt!»
«Na, na.» Er machte eine wegwerfende Gebärde. «Was die Zeitungen so schreiben … Journalisten übertreiben immer. Wie lange arbeiten Sie schon bei Mr. Simon?»
«Fast sechs Jahre», sagte sie. «Er ist ein Prachtmensch.»
«So heißt es. Nun, lange werden wir ihn nicht in Anspruch nehmen. Ehe Sie sich's versehen, sind wir wieder aus Ihrer bezaubernden Gegenwart verschwunden.»
Unwillkürlich hob sich ihre Hand, und sie fingerte an den eng gewickelten Locken. Die Augen hinter der schwarzen Hornbrille leuchteten.
«Es geht um den Fall Maitland, nicht wahr?» fragte sie atemlos.
Er nickte ernst, legte den Zeigefinger vor die geschlossenen Lippen.
«Ich verstehe», sagte sie. «Von mir erfährt keiner ein Wort.»
Ein Lämpchen erlosch auf ihrem Apparat mit den sechs Knöpfen. Sie sah es gleich. «Er hat aufgelegt. Ich melde Sie an.»
Sie stand auf und ging federnd zur Tür von Mr. Simons Arbeitszimmer. Der weite Rock wogte um ihre hübschen Beine. Sie klopfte einmal, machte die Tür auf, trat ein, und schloß sie hinter sich. Ein Ballett.
«Sie haben recht», murmelte Delaney. «Sie hat ein gewisses Etwas.»
Gleich darauf war sie zurück.
«Mr. Simon läßt die Herren bitten», verkündete sie strahlend.
Sie schloß die Tür sanft und mit Bedauern hinter den Besuchern. Der Mann am Schreibtisch stand auf, kam lächelnd und mit ausgestreckter Hand auf sie zu.
«Mr. Delaney», sagte er. «Sergeant. Ich bin J. Julian Simon.»
Simon, der sich glatt und selbstsicher bewegte, bat sie auf einem grünen Ledersofa Platz zu nehmen, zog einen mit Laufrollen versehenen dazu passenden Ledersessel heran und setzte sich ihnen gegenüber. Er bot Zigaretten aus einem silbernen Etui an und steckte es wieder in seine Jackentasche, als sie ablehnten. Er selber rauchte nicht. Er lehnte sich zurück und schlug nonchalant die Beine übereinander.
«Meine Herren», fragte er, «wie kann ich Ihnen behilflich sein?»
Er wirkte wie auf Hochglanz poliert; silbriges Haar, sorgfältig gebürstet, schimmerte wie ein Spiegel. Ein weißer gestutzter und gewachster kleiner Schnurrbart. Rosigweiße Gesichtshaut, in welche Gesundheit hineinmassiert schien. Zähne, zu ebenmäßig, um echt zu sein. Augen wie Scheiben von Himmelblau. Farblos gelackte Nägel. Armbanduhr, Krawattennadel und Ringe aus Gold, einer mit einem viereckigen Diamanten, ein winziger Eiswürfel.
Und der Anzug! Glattes graues Kammgarn mit spitzen Aufschlägen. Wasserblaues Hemd. Eine Krawatte, wie aus Chromblech gestanzt. Schwarze Mokassins mit Bommeln, buschig wie Rasierpinsel und so glänzend, daß sie wie geölt wirkten. Seine Manieren waren ebenso
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