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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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wir, fünfhundert Dollar verkauft hat und der jetzt in der Zeitung liest, daß es für eine halbe Million weiterverkauft worden ist?»
    «Ist das Maitland auch passiert?» fragte Delaney.
    «Sicher», sagte Wolfe. «Ich hab ihn mal kennengelernt. Als Mensch war er unausstehlich, aber daß er wegen dieser Verhältnisse tobte, kann man ihm nicht verdenken. Könnte ich noch was zu trinken haben, Chief? Von dem vielen Reden kriegt man ja eine ganz trockene Kehle.»
    «Selbstverständlich», sagte Delaney. «Die Behörde zahlt. Noch einen Kirsch?»
    «Nein, lieber ein Bier. Es rinnt so schön durch die Kehle. Sie trinken gar nichts, Sergeant?»
    «Heute nicht.»
    «Da tun Sie gut daran», sagte Wolfe. «Ich verbringe die Hälfte meiner Zeit auf Vernissagen und Cocktailparties. Die Folgen merkt man erst später. Schlecht für die Leber. Aber was opfert man nicht alles dem öffentlichen Wohl - stimmt's?»
    Für Delaney und Wolfe wurde frisches Bier gebracht. Der Lieutenant nahm einen tüchtigen Schluck und neigte sich dann über den Tisch zu Delaney hin, feinen Schaum im schwarzen Bart.
    «Ein erfolgreicher Maler wie Maitland wird aber auf zweierlei Weise angeschissen. Zum einen erzielen seine frühen Bilder, die er für lächerliche Summen verkauft hat, Millionen, und er kriegt nichts davon ab. Zum anderen nimmt ihn auch noch die Steuerbehörde aus. Und das geht so: Denken Sie sich einen jungen Maler, der gerade anfängt. Er schuftet wie besessen, und vor lauter Einfällen kann er kaum schlafen. Hat er Glück, verkauft er vielleicht eines von zehn Bildern. Die anderen stapeln sich in seinem Atelier, im Keller, auf dem Boden, in den Wohnungen von Freunden. Vielleicht verschenkt er welche, bloß um sie los zu sein. Oder er bezahlt damit für eine Mahlzeit oder sein Atelier. Es vergehen Jahre, der Maler heiratet, hat Kinder, und, o Wunder, seine Sachen lassen sich plötzlich verkaufen. Die Preise für seine Bilder steigen. Er hat noch die frühen unverkäuflichen Bilder und behält sie, weil sie ein Vermögen darstellen, das er seinen Angehörigen hinterlassen kann, falls er mal tot umfällt. Eines Tages fällt er wirklich tot um, hinterläßt seiner Frau ein paar Dollar, aber ein Atelier, randvoll mit unverkauften alten Sachen. Das ist sein Nachlaß, und der wird nun von der Steuerbehörde bewertet. Die geht dabei vom derzeitigen Marktwert aus, ohne Rücksicht darauf, wann die Sachen entstanden sind. Das bedeutet: Auch ein früher Maitland ist hunderttausend wert, falls die letzten Maitlands für hunderttausend weggegangen sind. So errechnet sich dann die Erbschaftssteuer, und die Hinterbliebenen sollen gefälligst sehen, wie sie die auftreiben. Dabei können sie sich total ruinieren, weil sie nämlich gezwungen sind, zu jedem Preis zu verkaufen. Ein erbauliches Beispiel dafür, wie Künstler von der Gesellschaft angeschissen werden. Können Sie was anfangen mit dem, was ich da erzähle?»
    «Sehr viel sogar, Lieutenant», versicherte Delaney. «Wir haben eine Menge Stoff zum Nachdenken. Aber erklären Sie mir noch eines … Warum verkauft ein Maler nicht auch seine frühen Sachen, wenn die Preise steigen? Warum macht er sie nicht zu Bargeld? Und hinterläßt seiner Witwe das Geld im Schließfach?»
    «Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen», sagte Wolfe. «Vielleicht hat sich sein Stil vollkommen gewandelt, er betrachtet seine frühen Arbeiten als Schund, schämt sich ihrer. Vielleicht rät ihm auch sein Kunsthändler, er soll den Markt nicht verstopfen. Der Händler erzielt nur hohe Preise, wenn die Ware knapp ist. Wirft ein Künstler plötzlich seinen ganzen Lagerbestand auf den Markt, purzeln die Preise. Stehen nur wenige Stücke zum Verkauf, steigt der Preis, mindestens hält er sich. Warum hätte Picasso sonst so viele Bilder hinterlassen? Außerdem haben viele Künstler keine Ahnung von der Erbschaftssteuer; sie sind eben keine Geschäftsleute. Da bildet sich so ein armer Tropf ein, er hinterläßt Frau und Kindern ein hübsches Vermögen und ahnt nicht, daß es von der Steuer fast ganz aufgefressen wird! Es kommt ja auch vor, daß manche seiner Sachen ihm so gut gefallen, daß er sie nicht verkaufen mag. Er hängt sie an die Wand und betrachtet sie. Bringt im Laufe der Jahre womöglich Veränderungen an. Er behält sie jahrelang, trennt sich vielleicht nie davon. Wenn Sie es mit Künstlern zu tun haben, Chief, haben Sie es mit Verrückten zu tun. Von denen dürfen Sie kein logisches Verhalten, keinen gesunden

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