Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
und schaute ihr dann geradewegs ins Gesicht. Als unsere Blicke sich trafen, weiteten sich ihre braunen Augen, wie es bei jemandem der Fall ist, der unerwartet etwas Erfreuliches vor sich sieht. Ich stieß meine Frage wie einen Degen durch die Bresche in ihrer Deckung. »Bringst du auch Prinz Pflichtgetreu derart in Bedrängnis, wenn er mit dir trainiert?«
Sie lächelte. »Nein, ich fürchte nicht, denn da muss ich eifrig verhindern, dass er mich in Bedrängnis bringt. Er ist ein talentierter Fechter, erfindungsreich und unberechenbar in seiner Taktik. Kaum habe ich mir eine neue Finte ausgedacht, hat er sie mir schon abgeschaut und wendet sie gegen mich an.«
»Dann liebt er den Schwertkampf.«
Sie zögerte. »Nein. Das ist es nicht. Er ist jemand, der nie etwas nur halbherzig tut. Er strebt danach in allem, was er beginnt, perfekt zu sein.«
»Ehrgeizig ist er also?« Ich beschäftigte meine Hände damit, mein widerspenstiges Haar aus dem Gesicht zu streichen und neu in den Kriegerzopf zu fassen.
Wieder ließ sie sich Zeit mit der Antwort. »Nein, nicht im üblichen Sinn. Einige von denen, die ich ausbilde, denken nur daran, ihren Gegner zu besiegen. Diese Besessenheit kann man ausnutzen, um sie zu unvorsichtigen Manövern zu verleiten. Doch ich habe nicht den Eindruck dass es dem Prinzen darauf ankommt, als Sieger aus unseren Treffen hervorzugehen. Er will keine Fehler machen. Es sieht nicht aus, als ob er sich an meinen Fähigkeiten misst, er …« Sie ließ den Satz in der Luft hängen, während sie überlegte und nach Worten suchte.
»Er misst sich an sich selbst, an einer Idealvorstellung seiner selbst.«
Erst schaute sie überrascht, dann erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht. »Ganz genau. Du kennst ihn also?«
»Bisher noch nicht«, gestand ich. »Aber ich habe viel von ihm gehört und freue mich darauf, ihm persönlich zu begegnen.«
»O, das kann lange dauern«, sagte sie arglos. »Er hat in manchen Dingen die Art seiner Mutter aus den Bergen. Oft hält er sich eine ganze Weile vom Hof fern, nur um nachzudenken. Er begibt sich in Klausur in einem der Türme. Manche behaupten, dass er in dieser Zeit fastet, aber davon habe ich nichts gemerkt, wenn er wieder zum Training erschien.«
»Aber was tut er dann?«, fragte ich beherzt.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Du hast ihn nie gefragt?«
Sie schenkte mir einen befremdeten Blick und als sie antwortete, war ihr Ton merklich kühler. »Ich bin nur sein Fechtpartner, nicht seine Vertraute. Ich bin eine Soldatin der Garde, und er ist der Prinz. Wie sollte ich mir anmaßen, meinen Prinzen zu fragen, wie es ihm beliebt, seine Zeit zu verbringen? Er ist, wie alle hier wissen, ein verschlossener Mensch, der das Alleinsein braucht.«
Ich hatte sie zu sehr bedrängt, auch Jinnas Magie vermochte daran nichts zu ändern. Ich lächelte, entwaffnend, wie ich hoffte, und richtete mich ächzend auf. »Nun, als Trainingspartner kannst du es mit jedem aufnehmen, den ich je gehabt habe. Der Prinz kann sich glücklich schätzen, jemanden wie dich zu haben, der ihm hilft sich in der Fechtkunst zu vervollkommnen. Ich jedenfalls weiß es zu schätzen.«
»Vielen Dank. Und ich hoffe, es ergibt sich die Gelegenheit, dass wir noch einmal die Klingen kreuzen.«
Ich beließ es dabei. Bei den anderen Dienstboten, mit denen ich ins Gespräch kam, hatte ich ähnlich bescheidenen Erfolg. Nicht dass die Leute sich zugeknöpft gegeben hätten, im Gegenteil, sie verbreiteten sich gern und ausführlich über Fürst Leuenfarb und Lady Elegantsa, nur über den Prinzen schien es keinerlei Klatsch und Tratsch zu geben. Das Bild, das ich von Pflichtgetreu bekam, war das eines jungen Mannes, der zwar keinen Anlass gab, ihm zu grollen, jedoch fremd blieb, abgesondert, nicht nur aufgrund seiner Stellung, sondern auch durch sein Wesen. Für mich eine wenig ermutigende Erkenntnis. Wenn er einfach beschlossen hatte, aus der Enge seines Lebens auszubrechen, hatte er sich bestimmt niemandem anvertraut. Und sein Einzelgängertum machte ihn zu einem idealen Objekt für Entführer.
Meine Gedanken wanderten zu der Nachricht, die die Königin erhalten hatte, dass der Prinz mit der Alten Macht behaftet sei und sie solle entsprechende Maßnahmen ergreifen. Was verstand der Schreiber unter ›entsprechende Maßnahmen‹? Enthüllen dass er einer mit der Alten Macht war und ein Gesetz erlassen, dass solche nicht mehr verfolgt werden dürften? Oder die ehrenwerte Ahnenreihe der Weitseher reinhalten,
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