Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Ich runzelte die Stirn und nahm mir vor, mit Chade darüber zu sprechen. Mein bocksblauer Kittel allein sollte nicht als Legitimation genügen, mich nach Belieben ein-und ausgehen zu lassen. Ich ritt bis zum Stalltor, stieg ab und blieb wie angewurzelt stehen, während mir das Herz bis zum Hals schlug. Aus dem Innern des Stallgebäudes ertönte die Stimme eines Mannes, der einem anderen wortreich erklärte, wie man einem Pferd die Hufe auskratzte und zwar richtig. Die Stimme war mit den Jahren tiefer geworden, aber ich erkannte sie dennoch. Flink, mein Freund aus Jugendtagen und heute Stallmeister von Bocksburg, stand gleich hinter den geöffneten Türflügeln. Mein Mund wurde trocken. Bei unserem letzten Zusammentreffen hatte er mich für ein Gespenst oder einen Dämon gehalten und war nach der Wache brüllend davongelaufen.
Das war Jahre her. Ich hatte mich sehr verändert, sagte ich mir, aber mein Vertrauen in die Spuren der Jahre als meine einzige Maske war nicht groß. Sicherer erschien es mir, mich in die Rolle von Tom Dachsenbless zu flüchten.
»Komm her, Junge«, rief ich einen Burschen, der sich vor dem Stall herumdrückte. »Bring die Stute für mich in den Stall. Sie gehört Fürst Leuenfarb, also sorg dafür, dass sie bestens versorgt wird.«
»Ja, Herr«, gab er zur Antwort. »Der Fürst hat uns aufgetragen, nach Tom Dachsenbless und einer schwarzen Stute Ausschau zu halten und sein eigenes Ross zu satteln, sobald Ihr zurückkehrt. Ihr selbst sollt sofort zu ihm in seine Gemächer kommen.« Damit machte er kehrt und entfernte sich mit meinem neuen Pferd.
Voller Stolz auf mich selbst, wie leicht ich diese Hürde genommen hatte, machte ich mich auf den Weg zum Palas. Ich war kaum ein Dutzend Schritte weit gekommen, als ein Mann an mir vorbeieilte, der offenbar dringend etwas zu erledigen hatte. Er gönnte mir keinen Blick, aber ich starrte hinter ihm her. Flink. Er hatte zugenommen, aber ich schließlich auch. Auf dem Kopf war das schwarze Haar lichter geworden, dafür spross es auf den muskulösen Unterarmen umso dicker. Im nächsten Moment bog er um eine Ecke und war verschwunden. Ich stand da und gaffte und fühlte mich wirklich wie ein Gespenst, unsichtbar in seiner Welt. Endlich schüttelte ich die Lähmung ab und besann mich auf meine eigenen Pflichten. Wir würden uns in den nächsten Wochen unvermeidlich hier und dort über den Weg laufen, überlegte ich im Weitergehen, und wenn es sich schließlich einmal ergab, dass wir miteinander zu tun hatten, steckte ich so fest in der Haut von Tom Dachsenbless, dass ihm nicht einfallen würde zu denken, ich könnte ein anderer sein.
Mein Leben als Fitz sah ich wie Fußspuren auf staubigen Dielen, die nach und nach von neuen Schritten ausgelöscht wurden. In dieser Stimmung empfand ich es nicht erheiternd, dass ich im Flur vor der Tür der Großen Halle Fürst Leuenfarbs laute Stimme hörte. »Ah, Tom Dachsenbless, da ist Er ja! Bitte um Vergebung, meine Damen, da ist er endlich, der Nichtsnutz, auf den ich gewartet habe! Lebwohl und lebt wohl, während ich fort bin!«
Ich schaute zu, wie er sich aus einer Schar edler Damen löste. Sie ließen ihn nur widerstrebend ziehen, umschmeichelten ihn mit Wimperngeklimper und Fächergeschwirr und eine von ihnen schürzte die Lippen zu einem allerliebsten Schmollmund. Fürst Leuenfarb ließ die Sonne seines Lächelns über ihnen allen strahlen und winkte mit träger Anmut zum Abschied, während er auf mich zukam. »Aufträge erledigt? Ausgezeichnet. Dann werden wir unsere Vorbereitungen beenden und aufbrechen, solange die Sonne noch hoch am Himmel steht.«
Er fegte an mir vorbei, ich folgte in diskretem Abstand und nickte zu den akribischen Anweisungen, wie die bereitgelegten Sachen in seinem Gepäck unterzubringen seien. Doch als wir in seine Gemächer traten und ich die Tür hinter uns zumachte, sah ich sein prallgefülltes Mantelbündel bereits auf einem Stuhl liegen. Ich hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde und drehte mich um. Er wies auf meine Kammer, eben als dort die Tür aufging und Chade heraustrat.
»Endlich, nicht eine Minute zu früh. Die Königin hat eure Nachricht erhalten und befiehlt, dass ihr umgehend aufbrecht. Sie wird keine Ruhe finden, bevor der Junge nicht unter dieses Dach zurückgekehrt ist. Und um ehrlich zu sein, ich ebenso wenig.« Er kaute an seiner Unterlippe, dann bemerkte er, an Fürst Leuenfarb gewandt, weniger an mich: »Die Königin hat entschieden, dass Jagdmeisterin
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