Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
von Stadt und Hafen leben und im Schutz der Burg, für den Fall, dass die Feindseligkeiten wieder aufflammten.«
Mir fiel nichts ein, was ich darauf sagen konnte, um das Gespräch in Gang zu halten, aber diese Ausläufer der Stadt versetzten mich in Erstaunen. Es gab sogar eine Schänke und eine Herberge für Flussschiffen Wir ritten auf dem Weg zwischen Lagerschuppen und Docks entlang. Eselskarren schienen das bevorzugte Transportmittel zu sein. Stumpfnasige Flusskähne lagen an den Piers, Ladungen aus Farrow und Tilth wurden gelöscht. Wir kamen an einer Schänke vorbei, danach an mehreren primitiven Logierbaracken, wie die Schiffer sie anscheinend gern hatten. Die Straße verlief flussaufwärts. Manchmal war sie breit und sandig, über morastige Stelle hatte man Bohlen gelegt. Malta und Laurels kleiner Wallach nahmen keinen Anstoß an dem veränderten Untergrund, aber meine Schwarze verlangsamte jedesmal den Schritt und legte die Ohren an. Das hohle Pochen der Hufe auf den Planken behagte ihr nicht. Ich legte ihr die Hand auf den Widerrist und spürte zu ihr hin, vermittelte Beruhigung. Sie wandte den Kopf zur Seite und rollte ein Auge in meine Richtung, blieb aber unzugänglich wie vorher. Vermutlich hätte sie sich geweigert weiterzugehen, wären nicht die beiden anderen Pferde gewesen. Unübersehbar war sie mehr an ihresgleichen interessiert als daran, sich auf das Freundschaftswerben einen Menschen einzulassen.
Ich konnte mich nicht genug über den Unterschied zwischen ihr und den zutraulichen Pferden in Burrichs Stall wundern. Ob seine Alte Macht die Erklärung war? Wann immer eine Stute ein Fohlen zur Welt brachte, war Burrich bei ihr und das Neugeborene spürte die Berührung seiner Hand fast gleichzeitig mit dem Lecken der mütterlichen Zunge. Lag es nur an der Gegenwart eines Menschen vom ersten Atemzug an, dass die Pferde in seinem Stall so fügsam waren, oder bewirkte seine Alte Macht, unterdrückt, aber doch vorhanden, dass sie sich mir zuwandten? Die Nachmittagssonne brannte auf uns nieder, und die Strahlen prallten von der weiten, glitzernden Wasserfläche zurück. Der gleichmäßige Hufschlag der Pferde bildete eine angenehme Untermalung meiner Gedankengänge. Burrich hatte die Alte Macht als eine düstere, primitive Magie betrachtet, eine Versuchung, dem Tier in mir die Oberhand zu lassen. Der Volksglaube gab ihm Recht und ging noch weiter: Die Alte Macht war ein Werkzeug des Bösen, eine unreine Malefizerei, die ihre Anhänger in Schande und Verderben stürzte. Tod und Zerstückelung waren die einzig wirksame Kur für diese Pest. Auf einmal war ich weniger geneigt, Pflichtgetreus Verschwinden auf die leichte Schulter zu nehmen. Richtig, der Junge war nicht entführt worden, sondern eher verführt. Doch auch wenn die Gabe mich zu ihm geleitet hatte, war es doch unzweifelhaft die Alte Macht, derer er sich bei seinen nächtlichen Jagdzügen bediente. Wenn er sich verriet, vor den falschen Leuten, konnte ihm das den Tod bringen. Unter Umständen bewahrte ihn nicht einmal sein Status als Kronprinz und Thronfolger des Reiches vor diesem Schicksal. Immerhin hatte die Alte Macht mich seinerzeit aus der Gunst der Küstenherzöge stracks in Edels Verlies gestürzt.
Kein Wunder dass Burrich sich jeden Gebrauch der Alten Macht versagt hatte. Kein Wunder dass er so oft gedroht hatte, das Gift aus mir herauszuprügeln. Und doch bereute ich nicht, sie zu haben. Fluch oder Segen, sie hatte mein Leben so oft gerettet wie in Gefahr gebracht. Und für mich stand fest, dass das tiefe Gefühl der Verbundenheit mit allem was auf Erden lebt meine Tage bereicherte. Ich atmete tief ein und ließ meine Alte Macht sich entfalten, behutsam, zu einer uneingeschränkten Wahrnehmung des Lebens um mich herum.
Deutlicher als zuvor und anders, war ich mir Maltas und des kleinen Wallachs der Jagdmeisterin neben mir bewusst und spürte, wie auch sie auf mich aufmerksam wurden. Ich spürte Laurel nicht als einen Reiter neben mir, sondern als ein großes, gesundes Lebewesen. Fürst Leuenfarb blieb für die Alte Macht ebenso undurchdringlich wie der Narr mir stets erschienen war. Selbst vor diesem besonderen, achten Sinn, zerfloss er zu etwas nicht Fassbarem, doch in seinem Geheimnis war er mir vertraut. Vögel in den Baumkronen waren helle Funken zwischen den Blättern. Von dem größten der Bäume, an dem wir vorbeiritten, ging ein tiefes grünes Atmen aus, ein pulsierendes Sein, das anders war als die Bewusstheit eines Tieres
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