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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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trägst du den Kittel eines Bauern. Damals bewegtest du dich mit der Anmut eines Kriegers. Heute, nun ja, morgens oder an einem kalten Tag, bewegst du dich mit der Vorsicht eines alten Mannes.« Sie schüttelte mitleidig den Kopf, als sie hinzufügte: »Du hast nicht auf dein Äußeres geachtet und die Jahre sind nicht gnädig mit dir umgesprungen. Du könntest dich fünf oder sogar zehn Jahre älter machen und niemand würde es bezweifeln.«
    Diese nüchterne Einschätzung aus dem Mund meiner Geliebten tat weh. »Nun, das ist gut zu wissen«, erwiderte ich trocken. Ich nahm den Kessel vom Feuer, um ihrem Blick nicht begegnen zu müssen.
    Sie missdeutete meine Worte und den Tonfall. »Genau. Und wenn du hinzunimmst, dass die Menschen sehen, was sie zu sehen erwarten, und dass sie nicht erwarten, dich lebendig zu sehen … Ich denke, du könntest es wagen. Erwägst du denn, nach Bocksburg zurückzukehren?«
    »Nein.« Ich hörte selbst, wie schroff es klang, aber mir fiel nichts ein, was ich abmildernd hätte hinzufügen können. Sie schien sich nicht daran zu stören.
    »Schade. Dir entgeht so viel, hier in deiner Einsiedelei.« Sofort begann sie mit einer neuen Anekdote vom Tanz in den Frühling. Trotz meiner bedrückten Stimmung musste ich lächeln, als sie schilderte, wie Chade von einer Verehrerin von zarten sechzehn Lenzen auf die Tanzfläche gelockt wurde. Sie hatte Recht. Ich wäre zu gern dabei gewesen.
    Während ich Abendessen für uns alle zubereitete, ertappte ich mich dabei, wie meine Gedanken zu dem alten, quälenden Was-wäre-wenn zurückkehrten. Was, wenn ich mit meiner Königin und Merle nach Bocksburg zurückgekehrt wäre? Was, wenn ich heimgekommen wäre zu Molly und unserem Kind? Immer, wie ich es auch drehte und wendete, endete es in einer Katastrophe. Wäre ich nach Bocksburg zurückgekehrt, während alle mich tot und begraben glaubten, hingerichtet wegen erwiesener Ausübung der Alten Macht, hätte ich nur Zwist bewirkt zu einer Zeit, in der Kettricken sich bemühte, das Reich zu einen. Es hätte sich eine Fraktion gebildet, die lieber mich statt ihrer auf dem Thron sehen wollte, denn obschon Bastard, floss in meinen Adern das Blut der Weitseher, während sie nur durch Heirat regierte. Eine noch stärkere Fraktion hätte sich dafür ausgesprochen, mich nochmals zu exekutieren, diesmal gründlicher.
    Und wenn ich zu Molly und dem Kind zurückgekehrt wäre, um sie beide mit mir zu nehmen? Jemand, der seine eigenen Wünsche über das Glück aller anderen stellte, hätte es vielleicht getan. Sie und Burrich hielten mich beide für tot. Die Frau, die meine Gemahlin gewesen war, in allem, bis auf den Namen, und der Mann, der mich großgezogen und mir seine Freundschaft geschenkt hatte, hatten sich einander zugewandt. Er hatte dafür gesorgt, dass Molly ein Dach über dem Kopf hatte, zu essen und warm, während mein Kind in ihrem Leib heranwuchs. Mit seinen eigenen Händen hatte er meinem Bastard auf die Welt geholfen. Gemeinsam hatten sie Nessel vor Edels Schergen beschützt. Burrich hatte die Frau und das Kind in seine Obhut genommen, nicht nur, um sie zu beschützen, sondern um sie zu lieben. Durch mein Auftauchen hätte ich sie beide in ihren eigenen Augen zu Verrätern gemacht. Ich hätte ihrem Bund das Mal der Schande aufgedrückt. Burrich hätte mir Molly und Nessel überlassen. Sein striktes Ehrgefühl hätte ihm keine andere Handlungsweise erlaubt. Und den Rest meiner Tage hätte ich mich gefragt, ob sie mich mit ihm verglich, ob die Liebe zwischen ihnen stärker und ehrlicher gewesen war als …
    »Du lässt das Essen anbrennen«, schalt Merle vom Tisch her.
    Sie hatte Recht. Ich schöpfte uns das Obere aus dem Topf auf die Teller und setzte mich zu ihr. Ich schob alle Vergangenheiten, wirkliche wie eingebildete, beiseite. Merle war da, um sich mit mir zu unterhalten. Wie üblich war ich der Zuhörer und sie übernahm das Reden. Sie begann einen langen Monolog über einen Aufschneider von einem Vaganten, der sich beim Frühlingsfest erdreistet hatte, ihre Lieder vorzutragen, mit nur ganz wenigen Änderungen, und sie als seine Werke auszugeben. Sie gestikulierte mit ihrem Stück Brot, während sie sprach, und beinahe gelang es ihr, mich mit der Geschichte zu fesseln, doch immer wieder drängten sich Erinnerungen an selbst erlebte Frühlingsfeste in den Vordergrund. Wo war meine Zufriedenheit hin, mit dem einfachen Dasein, das ich mir geschaffen hatte? Der Junge und der Wolf waren mir viele

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