Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Borkenstückchen.
Ich konnte den Verfolger kommen hören. Es war eine neue Erfahrung; eine, die mir nicht zusagte, der Gejagte zu sein. Ich musste einen für mich geeigneteren Baum finden. Ich setzte mich in Trab, opferte die Deckung zugunsten der Schnelligkeit, doch ich konnte keinen finden, der mir ersteigbar schien.
Ich beschloss, bergauf mein Heil zu suchen. Manche Raubtiere, Bären zum Beispiel, können bergauf nicht schnell laufen. Falls der Verfolger ein Bär war, gelang es mir vielleicht, ihn abzuschütteln. Ich konnte mir kein anderes Tier vorstellen, das es wagen würde, uns zu folgen. Eine jüngere Eiche, mit tiefer angesetzten Ästen, bot sich an. Ich nahm Anlauf, sprang hoch und bekam den untersten Ast zu fassen. Gerade als ich mich hochzog, erreichte mein Verfolger den Fuß des Stammes. Und ich hatte schlecht gewählt. In erreichbarer Nähe gab es keine anderen Bäume, auf die ich springen konnte. Die wenigen, deren Zweige bis zu mir reichten, waren schwankendes, unzuverlässiges Jungholz. Ich saß in der Falle.
Knurrend äugte ich zu meinem Verfolger hinunter. Ich schaute in meine eigenen Augen, die in meine eigenen Augen schauten und in meine eigenen Augen schauten …
Ich fuhr in die Höhe, schlagartig hellwach und nass geschwitzt. Mein Mund war staubtrocken. Ich wälzte mich aus dem Bett und musste mich erst orientieren. Wo war das Fenster, wo die Tür? Dann fiel mir ein, dass ich nicht in meinem eigenen Haus war, sondern in einem fremden Zimmer. Ich stolperte im Dunkeln zum Waschtisch, nahm den Krug und trank das abgestandene Wasser. Die letzten Tropfen goss ich mir in die hohle Hand und wischte mir über das Gesicht. Arbeite, beschwor ich mein schlaftrunkenes Gehirn. Dann wurde es Licht in meinem Kopf. Nachtauge hatte unser Prinzlein irgendwo in den Hügeln hinter Tosen auf einen Baum getrieben und ließ es nicht mehr herunter. Das Wild war gestellt. Doch ich fürchtete, der Prinz könnte auf uns aufmerksam geworden sein. Wie gut wusste er über die Gabe Bescheid? Ahnte er, dass wir in unseren Gedanken verbunden gewesen waren? Dann wurde alles Denken ausgelöscht. Wie Blitz und Donner den Beginn des Unwetters ankündigen, so kündigte der gleißende Lichtstrahl, der durch meine Augen zuckte, den dröhnenden Gabenkopfschmerz an, der mich in die Knie zwang. Und ich hatte nicht ein Stäubchen Elfenrinde bei mir.
Aber der Narr vielleicht.
Nur dieser Gedanke gab mir die Kraft aufzustehen. Meine tastenden Hände fanden die Tür, und ich taumelte in das große Schlafgemach. Ein Nest verglimmender Kohlen im Kamin spendete rötliche Helligkeit, darunter mischte sich der unstete Schein der Nachtfackeln unten im Hof. Ich wankte zu dem großen Pfostenbett. »Narr?«, stieß ich krächzend hervor. »Nachtauge hat Pflichtgetreu in der Falle und …«
Die Worte erstarben mir auf den Lippen. Der Traum hatte die vorangegangenen Ereignisse des Abends aus meinem Kopf verdrängt. Was wenn der Hügel unter den Decken nicht von einem Körper stammte, sondern von zweien? Ein Arm warf das Plumeau zurück und enthüllte mir eine Gestalt auf der riesigen Bettstatt. Der Narr rollte sich zu mir herum und setzte sich auf. Er runzelte besorgt die Stirn.
»Fitz? Bist du krank?«
Ich ließ mich schwer auf die Bettkante fallen und hielt mir den Kopf, damit er nicht zerplatzte. »Nein. Ja. Es ist die Gabe, aber dafür haben wir jetzt keine Zeit. Ich weiß, wo der Prinz ist. Ich habe ihn geträumt. Er jagte mit seiner Katze in den Hügeln hinter Tosen. Dann hat etwas uns verfolgt, und Katze ist auf einen Baum gesprungen und ich – der Prinz auf einen anderen. Und dann schaute er nach unten, und er sah Nachtauge unter dem Baum. Der Wolf hat ihn in der Falle, irgendwo in diesen Hügeln. Wenn wir uns gleich auf den Weg machen, können wir ihn einfach so vom Ast pflücken.«
»Nein, unmöglich. Benutze deinen Verstand.«
»Das kann ich nicht. Mein Schädel kracht in allen Fugen.« Ich beugte mich nach vorn, stützte die Ellenbogen auf die Knie, den Kopf zwischen beiden Händen. »Weshalb können wir ihn nicht holen?«, fragte ich kläglich.
»Denk nach. Wir kleiden uns an, schleichen uns hinaus, an den Stallknechten vorbei und holen unsere Pferde, reiten bei Nacht durch eine fremde Gegend und finden mit Glück den Ort, wo der Prinz auf einem Baum sitzt, bewacht von einem Wolf. Einer von uns steigt auf den Baum und zwingt den Prinzen herunterzukommen. Dann überreden wir ihn, uns zu begleiten. Fürst Leuenfarb erscheint
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