Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
um Fürst Leuenfarbs Wohlergehen. In meiner Kammer schlüpfte ich wieder in mein bescheidenes Weitseherblau. Das gute Essen lag mir schwer im Magen. Wenn er in seiner Rolle übertrieb, fand ich mich vielleicht tatsächlich vor der Spitze von Jung-Gentils Degen wieder. Ich bezweifelte, dass Fürst Leuenfarb eine bessere Klinge schlug als zu seiner Zeit der Narr. Natürlich gab es einen Skandal, wenn das Blut eines Gastes vergossen wurde, aber junge Männer von Adel pflegten sich um derartige Bagatellen kein Kopfzerbrechen zu machen.
Die dunkelsten Stunden der Nacht waren verstrichen, wir näherten uns den grauen Untiefen der Dämmerung, als es an der Tür klopfte. Eine sauertöpfische Magd teilte mir mit, dass mein Herr meiner bedürfe. Mit klopfendem Herzen folgte ich ihr und entdeckte in einem Salon meinen Herrn sinnlos betrunken auf einer Bank liegend, schlaff wie ein weggeworfenes Kleidungsstück. Falls die übrigen Gäste Zeuge seiner peinlichen Kapitulation vor dem Dämon Alkohol gewesen waren, hatten sie sich inzwischen diskret verabschiedet. Selbst die Magd warf verächtlich den Kopf zurück, als sie hinausging und mich allein mit ihm zurückließ. Fast erwartete ich, als sie fort war, er würde sich erheben und mir mit einem Augenzwinkern zu verstehen geben, dass er nur schauspielerte. Nichts dergleichen.
Ich stellte ihn auf die Füße, aber selbst das riss ihn nicht aus seinem Stupor. Wenn ich ihn in sein Bett schaffen wollte, musste ich ihn entweder tragen oder mir seinen Arm um die Schulter legen und ihn mitschleifen, eine andere Wahl hatte ich nicht. Ich entschloss mich für die würdelose Methode, ihn mir über die Schulter zu werfen und wie einen Mehlsack zurück in sein Gemach zu transportieren. Ich ließ ihn ohne besondere Rücksichtnahme aufs Bett plumpsen und schob erst einmal den Riegel vor die Tür. Dann zerrte ich ihm die Stiefel von den Füßen und schüttelte ihn aus seiner Jacke. Als er zurück aufs Bett fiel, murmelte er: »Ich hab’s geschafft, ganz sicher. Morgen werde ich mich entschuldigen, von Reue zerfressen. Dann reiten wir. Alle werden froh sein, uns von hinten zu sehen. Keiner wird uns folgen, keiner wird glauben, dass wir den Prinzen suchen.« Gegen Ende seiner Rede begann er zu lallen. Seine Augen waren immer noch geschlossen. Plötzlich stieß er mit gepresster Stimme hervor: »Ich glaube, ich muss speien.«
Ich holte die Waschschüssel und stellte sie dicht neben ihm aufs Bett. Er umarmte sie wie eine Puppe. »Was genau hast du getan?«, verlangte ich zu wissen.
»O Eda, mach, dass das Karussell aufhört, sich zu drehen!« Er kniff die Lider zusammen. »Ich habe ihn geküsst. Ich wusste, das würde das Fass zum Überlaufen bringen.«
»Du hast Sydel geküsst? Gentils Braut?«
»Nein«, stieß er ächzend hervor und für einen Moment war ich erleichtert. »Ich habe Gentil geküsst.«
»Wie bitte?!«
»Ich war hinausgegangen, um zu pinkeln. Als ich zurückkam, wartete er vor dem Salon, wo die anderen dem Glücksspiel frönten. Er packte meinen Arm und zerrte mich grob in einen Nebenraum, wo er auf mich losging. Was für Absichten hatte ich mit Sydel? Warum konnte ich nicht respektieren, dass zwischen ihnen eine Abmachung bestand?«
»Was hast du geantwortet?«
»Ich sagte …« Er presste die Lippen zusammen und seine Augen wurden rund. Er neigte sich über das Becken, aber nach einem Moment rülpste er nur laut und legte sich mit einem herzzerreißenden Stöhnen wieder hin. »Ich sagte, selbstverständlich respektierte ich ihre Abmachung und hoffte, wir könnten unsererseits zu einer eigenen Verständigung gelangen. Ich fasste nach seiner Hand. Ich sagte, ich sähe keine Schwierigkeit. Dass Sydel ein ebenso bezauberndes Mädchen wäre wie er ein bezaubernder Jüngling, und dass ich hoffte, wir drei könnten, enge, liebevolle Freunde werden.«
»Und dann hast du ihn geküsst? Ich kann es nicht glauben.«
Fürst Leuenfarb verdrehte die Augen. »Er schien mir ein wenig naiv zu sein. Ich wollte sichergehen, dass er verstand, was ich meinte.«
»El und Eda überzwerch!«, fluchte ich. Er stöhnte, als ich aufsprang und die weiche Daunenmatratze unter ihm in heftige Schwingungen geriet. Ich ging zum Fenster und schaute hinaus. »Wie konntest du das tun?«
Er atmete schnaufend ein und gezwungener Spott schlich sich in seine Stimme. »O, aber nicht doch, Herzlieb, du musst nicht eifersüchtig sein. Es war der kürzeste und keuscheste Kuss, den man sich vorstellen
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