Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
der auf den Prinzen gewartet hatte, um ihn dann weiter zu begleiten. Wenigstens einer aus der ersten Gruppe hatte nicht gezögert, sich für die anderen zu opfern, noch hatten sie Skrupel gehabt, alle niederzumachen, die ihnen gefolgt waren. Ihre Kampfbereitschaft und Konsequenz verrieten eiserne Entschlossenheit, den Prinzen zu behalten und zu ihrem unbekannten Ziel mitzunehmen. Ich bezweifelte, dass wir stark genug waren, ihnen den Prinzen zu entreißen, doch fiel mir auch nicht ein, was wir tun konnten, außer ihnen zu folgen. Laurel nach Bocksburg zurückschicken, damit sie die Garde holte? Bis sie mit Verstärkung wieder hier sein könnte, verginge viel zu viel Zeit. Außerdem war es dann mit der Geheimhaltung unserer Mission vorbei.
Die Schlucht öffnete sich zu einem engen Tal. Unser Wild verließ den Bachlauf. Bevor wir es ihnen gleichtaten, füllten wir erst unsere Wasserschläuche und verzehrten eine Ration von dem aus Bresingas Küche stibitzten Brot sowie jeder einen Apfel. Mit dem Griebs machte ich mir Meine Schwarze ein wenig gewogener. Anschließend setzten wir sofort unseren Weg fort. Die Stunden des Nachmittags dehnten sich. Keiner von uns hatte Lust zu reden. Es gab nichts zu sagen, außer wir wollten unsere unerfreuliche Lage bejammern. Gefahr drohte vor und hinter uns. Hier wie dort waren wir zahlenmäßig unterlegen und ich vermisste Nachtauge, meinen erprobten Kampfgenossen.
Die Fährte verließ den Talgrund und wand sich in die Berge hinauf. Der Baumwuchs nahm ab, das Terrain wurde felsig. Die Spur auf dem harten Boden nicht zu verlieren, erforderte erhöhte Aufmerksamkeit, dementsprechend langsam kamen wir voran. Wir ritten zwischen den Grundmauern eines kleinen Weilers hindurch, seit langem aufgegeben und verlassen. Wir passierten merkwürdige Erdbuckel, die sich aus dem von Findlingen übersäten Berghang wölbten. Leuenfarb sah, wie ich sie anstaunte und sagte ruhig: »Gräber.«
»Zu groß«, wandte ich ein.
»Nicht nach den Bräuchen dieser Menschen. Sie bauten Steinkammern für ihre Toten und oft wurden nach und nach ganze Familien darin beigesetzt.«
Ich schaute neugierig zu ihnen zurück. Hohes gelbes Gras wogte auf den Hügeln. Falls sich unter ihnen ein Gerüst aus Steinen befand, war es gut verborgen. »Woher weißt du das alles?«, fragte ich ihn.
Er schaute mich nicht an. »Ich weiß es eben, Dachsenbless. Halte Er es den Vorzügen einer aristokratischen Erziehung zugute.«
»Ich habe Geschichten von solchen Orten gehört«, warf Laurel mit gedämpfter Stimme ein. »Es heißt, lange, dünne Geister erheben sich manchmal aus diesen Gräbern, um verirrte Kinder zu fangen und … O, Eda sei uns gnädig. Seht. Der ragende Stein aus den gleichen Mythen.«
Ich hob den Blick, um in die Richtung zu schauen, in die ihr ausgestreckter Finger wies. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.
Doppelt mannshoch war der Stein, schwarz und glänzend, von silbernen Adern durchzogen. Kein Moos, keine Flechte hatte an seinen Flanken Halt gefunden. Die Inlandwinde waren gnädiger gewesen, als die salzschweren Stürme, die den Zeugensteinen bei Bocksburg zugesetzt hatten. Aus dieser Entfernung konnte ich nicht erkennen, welche Glyphen in den Stein gemeißelt waren, aber dass sie vorhanden waren, wusste ich. Dieser Steinpfeiler war von der gleichen Art wie die Zeugensteine und der schwarze Obelisk, der mich einst in die Stadt der Uralten versetzt hatte. Ich starrte ihn an und wusste, er entstammte demselben Steinbruch, der Veritas Drachen hervorgebracht hatte. Hatte Zauberei oder Muskelkraft ihn den ganzen weiten Weg von dort hierher geschafft?
»Gehören die Gräber und die Steine zusammen?«, fragte ich Fürst Leuenfarb.
»Was nahe beieinander liegt, muss nicht unbedingt eins mit dem anderen zu tun haben«, antwortete er kryptisch. Ich wandte mich im Sattel Laurel zu. »Was wissen die Sagen über den Stein zu berichten?«
Sie hob eine Schulter und lächelte, aber ich glaube, mein eindringlicher Ton verursachte ihr Unbehagen. »Die Geschichten sind zahlreich, aber der Kern ist fast immer der Gleiche.« Sie holte tief Atem. »Ein verirrtes Kind oder ein müßiger Schafhirte oder ein Liebespaar auf der Flucht vor strengen Eltern kommen zu den Grabhügeln. In den meisten Geschichten setzen sie sich daneben in den Schatten, um auszuruhen. Dann steigen die Geister aus dem Hügel und geleiten sie zu dem ragenden Stein. Und sie folgen dem Geist hinein, in eine andere Welt. In manchen
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