Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
tönten fragende Stimmen herab. »Ruhe!« schrie ich zu ihnen hinauf und augenblicklich herrschte Stille. Ich wandte mich wieder an meinen Gefangenen. »Hoch mit dir!«
»Ich kann nicht.« Es hörte sich kläglich an.
»Hoch mit dir!« Ich rappelte mich auf, ohne ihn loszulassen, und hievte ihn dann fast auf die Beine. »Beweg dich. Den Hang hinauf, zurück zur Höhle. Versuch noch einmal zu fliehen, und ich schlage dich grün und blau.«
Er glaubte mir. In Wirklichkeit hatten meine Spenden an Nachtauge mich völlig entkräftet. Ich vermochte kaum, mit ihm Schritt zu halten, als wir zum Teil auf allen vieren den Hang hinaufkraxelten. Die unvermeidlichen Kopfschmerzen nach dem Gebrauch der Gabe malten grelle Blitze auf die Innenseiten meiner Lider. Oben angelangt waren wir beide von oben bis unten nass und verdreckt. Ich ignorierte Fürst Leuenfarbs besorgte Miene und Laurels Fragen, fesselte dem Gefangenen die Hände auf den Rücken und schnürte ihm außerdem die Füße zusammen. Mein Schädel dröhnte, ich wollte fertig werden und ging nicht eben behutsam mit ihm um, dabei spürte ich die Blicke des Narren und Laurels im Rücken. Es machte mich wütend, gleichzeitig schämte ich mich für meine Unbeherrschtheit. »Schlaf gut«, zischte ich ihm ins Gesicht, als ich fertig war, trat einen Schritt zurück und zog mein Messer aus der Gürtelscheide. Laurel stöhnte auf, und dem Gescheckten entfuhr ein ersticktes Schluchzen. Doch ich ging nur zu dem Rinnsal, um den Schmutz von Klinge und Scheide abzuspülen. Dann wusch ich mir die Hände und rieb mir mit dem kalten Wasser das Gesicht sauber. Bei dem Gerangel mit dem Gefangenen hatte ich mir den Rücken gezerrt. Nachtauge winselte mitfühlend. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, den Schmerz vor ihm zu verbergen. Als ich mich aufrichtete, meldete der Gescheckte sich zu Wort. »Du bist ein Verräter an Deinesgleichen.« Die Todesangst verlieh dem Jungen einen verzweifelten Mut. Er schleuderte mir die Worte entgegen, doch ich gönnte ihm nicht einen Blick. Sein Wortschwall steigerte sich zu schriller Anklage. »Was haben sie dir bezahlt, damit du uns in den Rücken fällst? Welche Belohnung erwartet dich und deinen Wolf, wenn du den Prinzen zurückbringst? Haben sie eine Geisel in ihrer Gewalt? Deine Mutter? Deine Schwester? Haben sie versprochen, dass sie dich und deine Familie am Leben lassen, wenn du die Drecksarbeit für sie verrichtest? Sie lügen, sage ich dir. Sie lügen immer.« Seine schwankende Stimme gewann an Kraft. »Altes Blut jagt Altes Blut und wofür? Damit die Weitseher vertuschen können, dass das Blut des Gescheckten Prinzen in ihren Adern fließt? Oder arbeitest du für jene, die die Königin hassen und ihren Sohn? Willst du ihn zurückbringen, damit man ihn als einen vom Alten Blut anklagt und die Weitseher von denen gestürzt werden, die wähnen, sie passten besser auf den Thron der Sechs Provinzen?«
Ich hätte besser darauf achten sollen, was er über die Weitseher sagte, aber ich hörte nur, was mich anging. Er sprach mit Überzeugung. Er wusste Bescheid. Ich versuchte zu parieren, obwohl ich wusste, es war dumm, den Köder zu schlucken und mich auf ein Gespräch mit ihm einzulassen. »Deine wilden Beschuldigungen sind Hirngespinste. Ich bin ein Vasall der Weitseher, ich diene meiner Königin. Ich werde den Prinzen retten, ganz gleich, in wessen Hand er ist oder in welcher Beziehung zu mir die Entführer stehen …«
»Retten? Ha! Ihn zurückschleppen in die Sklaverei, meinst du wohl.« Der Gescheckte richtete den Blick auf Laurel, als wollte er besonders sie überzeugen. »Der Knabe mit der Katze reitet mit uns dorthin, wo er in Sicherheit ist, nicht als Gefangener, sondern als einer, der heimkehrt zu Seinesgleichen. Besser ein freier Gescheckter als ein Prinz in einem Käfig. Also verrätst du ihn doppelt, denn er ist ein Weitseher, dem zu dienen zu geschworen hast, und vom Alten Blut, so gewiss wie du es bist. Wirst du ihn zurückschleppen, damit er gehängt, gevierteilt und verbrannt wird, wie schon so viele von uns? Wie mein Bruder vor zwei Tagen?« Seine Stimme brach. »Arno war erst siebzehn. Er selbst hatte nicht einmal die Alte Macht, doch er war Blut von Altem Blut und beschloss, auf unserer Seite zu kämpfen, sogar sein Leben für uns zu opfern. Er war einer von uns, auch wenn er die Magie nicht geerbt hatte.« Er schaute wieder mich an. »Du aber stehst da, ebenso einer mit der Alten Macht wie ich, du und dein Wolfsbruder
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