Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
neben dir, und machst Jagd auf uns. Du magst lügen und leugnen, doch vergrößerst du nur deine eigene Schande. Glaubst du, ich merke nicht, wie du mit ihm sprichst?«
Ich starrte ihn an. Mein pochender Schädel bemühte sich zu ermessen, was er mir soeben angetan hatte. Indem er mich vor Laurel bloßstellte, hatte er nicht nur mein Leben in Gefahr gebracht, sondern mir auch Bocksburg weggenommen, zum zweiten Mal. Ich konnte nie wieder dorthin zurückkehren, nachdem Laurel nun wusste, was ich war. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie sah aus, als würde ihr übel. Ich bemerkte eine Veränderung in ihren Augen, als ich sie ansah, eine neue Einschätzung meiner Person. Das Gesicht des Narren war völlig leer, als ob er sich bemühte, so viele Gefühle zu unterdrücken, dass seine Miene überhaupt nichts verriet. Hatte er bereits erkannt, was ich tun musste? Es war wie ein schleichendes Gift. Sie wussten, ich war ein Zwiehafter. Nun war es nicht allein der Gescheckte, den ich töten musste, sondern auch Laurel. Tat ich es nicht, blieb sie auf ewig ein Dolch an meiner Kehle.
Doch wenn ich es tat, zerstörte ich alles, was zwischen dem Narren und mir war, Freundschaft, tiefe Verbundenheit. Der Ausweg des Meuchelmörders aus diesem Dilemma bestand darin, auch ihn zu töten, damit er mich nie wieder mit diesen Morden in den Augen anschauen konnte.
Und dann tötest du mich und zu guter Letzt tötest du dich und niemand wird je erfahren, wie wir verbunden gewesen sind. Es bliebe unser schäbiges Geheimnis, mit uns ins Grab gesunken. Töte uns. Lieber tot, als frei bekennen, was wir sind.
Zielsicher wie ein eiskalter, deutender Finger traf dieser Gedanke mitten in die furchtbare Zerrissenheit, die mich quälte, seit wir den jungen Gescheckten gefangen genommen hatten – nein, seit ich erkannt hatte, dass ich, um meinen den Weitsehern geleisteten Vasalleneid zu halten, mich gegen die vom Alten Blut stellen musste und gegen den Wunsch des Prinzen nach einem eigenen Leben.
»Bist du ein Zwiehafter?«, fragte Laurel tonlos. Ihre Stimme war leise, aber die Worte gellten mir in den Ohren.
Ich stand im Brennpunkt abwartender, durchbohrender Blicke. Ich griff nach der Lüge, konnte sie aber nicht über die Lippen bringen. Sie aussprechen hieß, den Wolf zu verleugnen. Ich war denen vom Alten Blut entfremdet, dennoch waren wir von einer Art und es bestand eine Verbundenheit, die tiefer reichte als erlernte Loyalität. Vielleicht führte ich mein Leben nicht wie einer vom Alten Blut, aber die Gefahr, getötet zu werden für das, was wir waren, drohte uns allen gleich.
Demgegenüber hatte ich den Weitsehern den Treueeid geleistet, und sie waren mir blutsverwandt.
Was soll ich tun?
Was richtig ist. Sei, was du bist, Weitseher und Altes Blut. Selbst wenn es uns den Tod bringen sollte, es wäre leichter als dieses ewige Verstecken. Ich will lieber sterben, als unsere Verschwisterung mit dauernder Lüge zu beschmutzen.
Es war, als würde meine Seele aus einem ausweglosen Labyrinth befreit.
Mein Kopfschmerz war schlagartig gelindert; dass ich endlich den Mut gefunden hatte, eine Entscheidung zu treffen, schien mich von einem bösen Geist befreit zu haben. Die Worte kamen auf einmal wie von selbst.
»Ich bin vom Alten Blut«, bekannte ich ruhig und fest. »Und ich bin ein Vasall des Hauses Weitseher. Ich diene meiner Königin. Und meinem Prinzen, auch wenn er es jetzt noch nicht begreifen mag. Ich werde tun, was immer ich tun muss, um meinem Vasalleneid gerecht zu werden.« Ich schaute den Gescheckten mit Wolfsaugen an und sprach aus, was wir beide wussten. »Die vom Alten Blut haben den Prinzen nicht entführt, weil sein Wohl ihnen am Herzen liegt. Sie wollten ihn nicht ›befreien‹. Sie haben ihn zu sich gelockt, weil er als Thronfolger von unschätzbarem Wert für sie ist. Sie werden ihn benutzen, ohne Rücksicht auf seinen Willen oder seine Wünsche. Aber ich werde nicht zulassen, dass man ihn so missbraucht. Ich werde ihn um jeden Preis vor diesem Schicksal bewahren. Ich werde herausfinden, wo man ihn versteckt hält, und ich werde ihn nach Hause bringen. Ungeachtet dessen, was es mich kostet.«
Ich sah den Jüngling erbleichen. »Ich bin ein Gescheckter«, erklärte er mit schwankender Stimme. »Weißt du, was das bedeutet? Es bedeutet, ich schäme mich nicht meines Alten Blutes. Ich bekenne mich dazu und fordere das Recht, von meiner besonderen Fähigkeiten Gebrauch zu machen. Es bedeutet außerdem, ich werde
Weitere Kostenlose Bücher