Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
biss eine lose Ecke von meinem Daumennagel ab. »Ehrlich gesagt, weiß ich selber nicht genau, was ich denke.«
Eine Zeit lang hingen wir in Stille und Dunkelheit jeder seinen eigenen Gedanken nach. Schließlich holte ich seufzend Atem. »Wir müssen den Prinzen zurückholen. Nichts darf uns davon abhalten. Ich schlage vor, dass wir zu der Stelle zurückreiten, wo wir gestern von der Fährte abgewichen sind, und versuchen, sie wiederzufinden, sofern es nach diesem Regen noch möglich ist. Nur von diesem Weg können wir ganz sicher sein, dass er uns zu Pflichtgetreu führt. Kommen wir dort nicht weiter, weichen wir auf die Spur von Laurel und dem Gescheckten aus und hoffen, dass sie uns zu dem Prinzen führen.«
»Einverstanden.«
Fast plagten mich Schuldgefühle wegen der ungeheuren Erleichterung, die mich überkam. Nicht allein deshalb, weil er meinem Plan zugestimmt hatte, nicht allein, weil der Gescheckte außerhalb meiner Reichweite war, sondern weil wir, endlich unbeobachtet, das Schauspielern bleiben lassen konnten und wieder einfach wir selbst waren. »Ich habe dich vermisst«, sagte ich einfach und wusste, er verstand, was ich damit ausdrücken wollte.
»Ich dich auch.« Seine Stimme kam aus einer neuen Richtung. Er war aufgestanden und bewegte sich lautlos und geschmeidig wie eine Katze durch die Dunkelheit. Das rief mir meinen Traum ins Gedächtnis. »Ich glaube, der Prinz könnte in großer Gefahr sein«, sagte ich zu der Stelle hin, wo er eben gewesen war.
»Auf die Idee kommst du erst jetzt?«
»Eine Gefahr von anderer Art, als ich erwartete. Ich nahm an, die Zwiehaften hätten ihn mit dieser Katze, seinem Geschwistertier, als Köder von Kettricken und Bocksburg weggelockt, damit sie ihm vormachen könnten, sie wären seine wahren Freunde, und ihn für ihre Ziele einspannen. Doch heute Nacht träumte mir – es war ein böser Traum. Von dem Prinzen, der nicht er selber war, von der Katze, die ihn so beherrscht, dass er nicht mehr weiß, wer oder was er ist.«
»So etwas kann geschehen?«
»Ich wünschte, ich wüsste es mit Sicherheit. Die ganze Angelegenheit war äußerst merkwürdig. Es war seine Katze und doch war sie es nicht. Da war eine Frau, aber ich bekam sie nie zu Gesicht. Als ich der Prinz war, liebte ich sie. Und die Katze, die Katze liebte ich auch. Die Katze, glaube ich, liebte mich, aber es war schwer zu sagen. Die Frau stand – zwischen uns.«
»Als du der Prinz warst.« Sein Tonfall verriet mir, dass er nicht einmal wusste, wie er die Frage formulieren sollte.
Mittlerweile war der Höhleneingang ein heller Fleck in der Schwärze. Nachtauge schlief noch tief und fest. Ich stolperte durch den Versuch einer Erklärung. »Manchmal, nachts – es ist nicht eigentlich Hinausgreifen mit der Gabe. Es ist auch nicht ganz die Alte Macht. Ich fürchte, selbst was meine magischen Sinne angeht, bin ich ein Bastard zweierlei Erbes. Vielleicht ist das der Grund, weshalb der Gebrauch der Gabe für mich mit solchen Schmerzen verbunden ist. Vielleicht habe ich nie gelernt, richtig damit umzugehen. Vielleicht hatte Galen Recht mit seiner Meinung über mich …«
»Als du der Prinz warst«, brachte er mich energisch zum Thema zurück.
»In den Träumen bin ich er. Manchmal erinnere ich mich, wer ich wirklich bin. Manchmal lebe ich ganz in ihm und weiß, wo er ist und was er tut. Ich teile seine Gedanken, hingegen ist er sich meiner Anwesenheit nicht bewusst, und ich kann auch nicht zu ihm sprechen. Oder vielleicht kann ich es. Ich habe es nie probiert. In den Träumen fallt mir nie ein, das zu versuchen, ich bin einfach er und bewege mich mit ihm.«
Von dem Narren hörte ich ein leises Geräusch, wie ein gedankenvolles Ausatmen. Der Morgen kam mit der für den Wechsel der Jahreszeiten typischen Plötzlichkeit, Tintenschwarz verwässerte im Handumdrehen zu Perlgrau. Ich wusste sofort, dass der Sommer nun vorbei war, vom Gewitter der vergangenen Nacht ertränkt und weggespült, und der Herbst seine Herrschaft antrat. Die Luft roch nach Blättern, die bald fallen würden, nach Pflanzen, die ihr Grün sterben ließen, um in den Wurzeln schlummernd den Winter zu überdauern, und sogar nach geflügelten Samen, die verzweifelt nach einem Fleckchen suchten, um dort niederzufallen und in die Erde zu sinken, bevor der Winterfrost sie tötete.
Ich drehte mich um und sah, wie der Narr, bereits mit sauberen Kleidern angetan, die letzten Habseligkeiten in unseren Packen verstaute. »Von unserem Proviant
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