Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
endlich von seiner Liebe sprechen durfte. War ich jemals so jung gewesen?
»So war es nicht. Eines Nachts, als die Katze und ich durch einen Wald schwarzer Bäume liefen, die im Licht des Mondes silbern glänzten, spürte ich, dass wir nicht allein waren. Es war nicht dieses unbehagliche Gefühl, beobachtet zu werden, sondern mehr wie … Stellt Euch vor, der Wind wäre der Atem einer Frau in Eurem Nacken, der Duft des Waldes ihr Parfum, das Glucksen eines Bächleins ihre Heiterkeit. Da gab es nichts, was ich nicht hundertmal gesehen und gehört und gefühlt hatte und doch war alles in jener Nacht reicher, unbeschreiblich vielfältiger. Erst glaubte ich, es wäre Einbildung, und dann, durch die Katze, erfuhr ich mehr über sie. Ich spürte ihre Augen auf mir, wenn wir jagten, und ihre Zustimmung. Wenn ich mit der Katze das rohe Fleisch einer Beute teilte, spürte ich, dass die Frau mit uns die Mahlzeit genoss. Die Sinne der Katze schärfen meine eigenen, wie ich Euch gesagt habe. Doch plötzlich sah ich meine Umgebung nicht mit den Augen der Katze oder meinen eigenen, sondern mit den ihren. Ich sah, wie die eingestürzte Stelle in einer alten, bemoosten Mauer der Rahmen für einen sich in die Höhe kämpfenden Schössling war; ich sah das immer neue Muster im Spiel des Mondlichts auf den Stromschnellen; ich sah – ich sah die nächtliche Welt als ihre Poesie.«
Prinz Pflichtgetreu stieß einen langgezogenen Seufzer aus. Er war versunken in seinen Roman, aber mir sandte ein langsam in meinem Kopf Gestalt annehmender Verdacht einen kalten Schauer über den Rücken. Ich fühlte die gespitzten Ohren des Wolfs und die Spannung in seinen Muskeln – er teilte meine böse Ahnung.
»So hat es angefangen. Gemeinsame Blicke auf die Schönheit der Welt. Ich war so töricht. Anfangs dachte ich, sie müsse in der Nähe sein, dass sie uns aus einem Versteck heraus beobachtete. Ich bat die Katze, mich zu ihr zu bringen, und sie tat es, aber nicht auf die Art, wie ich es erwartet hatte. Es war, als näherte man sich in dichtem Nebel einer Burg. Nacheinander hoben sich die Schleier, gaben mehr und mehr von dem preis, was sich dahinter verbarg. Je näher ich kam, desto stärker wurde meine Sehnsucht, sie in Fleisch und Blut vor mir zu sehen. Doch sie lehrte mich, es wäre erhabener, darauf zu warten. Erst muss ich meine Lektionen in der Alten Macht beherrschen. Ich muss lernen, meine Grenzen und mein Selbst aufzugeben und mit der Katze zu verschmelzen. Wenn ich die Katze in mich hineinlasse, wenn ich ganz und gar die Katze bin, dann ist meine Herrin mir am nächsten. Denn wir sind beide mit demselben Geschöpf verschwistert.«
Ist das möglich? Ungläubig und scharf die Frage des Wolfs.
Ich weiß nicht. Aber ich bezweifle es.
»Das ist unmöglich«, sagte ich laut. Ich bemühte mich, leichthin zu sprechen, damit die Worte nicht beleidigend oder drohend klangen, aber ich wollte, dass der Narr Bescheid wusste. Dennoch fuhr der Prinz sofort auf mich los.
»Nennst du mich einen Lügner?«
Ich benahm mich meiner Rolle als ungehobelter Schlagetot entsprechend. »Wenn ich Euch einen Lügner heißen wollte«, ich gab meiner Stimme einen seidenweichen Klang, »hätte ich gesagt: ›Ihr seid ein Lügner.‹ Das habe ich nicht getan. Ich sagte: ›Das ist unmöglich.‹« Ich zeigte lächelnd die Zähne. »Kapiert Ihr nicht, dass ich damit sagen wollte, ich glaube, Ihr habt keine Ahnung, wovon Ihr schwafelt? Dass Ihr nur nachplappert, was jemand anders Euch eingetrichtert hat?«
»Zum letzten Mal, Dachsenbless, halt Er den Mund. Dies ist eine faszinierende Geschichte, und weder Seine Hoheit noch mich kümmert es, ob Er sie glaubhaft findet oder nicht. Ich habe den Wunsch zu hören, wie sie endet. Nun, wann habt Ihr Euch endlich gegenübergestanden?« Des Fürsten Tonfall verriet höchste Gespanntheit.
Pflichtgetreus eben noch träumerische Stimme erstickte plötzlich in unsäglichem Kummer. »Gar nicht. Noch nicht. Ich war zu ihr unterwegs. Sie rief mich zu sich, und ich verließ Bocksburg. Sie versprach mir, sie würde mir Führer entgegenschicken, die mich zu ihr bringen sollten. Und so geschah es. Sie versprach mir, je vollkommener ich meine Magie beherrschte, je mehr meine Verbindung mit der Katze sich vertiefte und festigte, desto näher würde ich ihr kommen. Natürlich müsse ich mich erst würdig erweisen. Meine Liebe würde auf die Probe gestellt, wie auch meine aufrichtige Bereitschaft, mich denen vom Alten Blut
Weitere Kostenlose Bücher