Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
herunter.
Ich war eingedöst. Zwar konnte ich Nachtauge nicht sehen, aber ich wusste, er stand in dem tintigen Schatten am Fuß meines Baumes. Was ist?
Komm herunter. Leise.
Herunter kam ich, aber nicht so leise, wie ich gehofft hatte. Mit den Händen an meinem Ast hängend, ließ ich mich fallen, ohne zu ahnen, dass sich genau an dieser Stelle eine Mulde im Waldboden befand. Der Fall war tiefer als gedacht, beim Aufkommen schlugen mir die Zähne zusammen und meine Wirbelsäule wollte oben zum Schädeldach hinaus. Ich bin zu alt für solche Späße.
Nein. Das wünschst du dir nur. Komm.
Ich folgte ihm hinkend. Er führte mich geräuschlos zurück zum Lager. Der Narr erwachte bei meinem Kommen und richtete sich auf. Selbst im Finstern konnte ich seine fragende Miene erkennen. Ich legte Schweigen heischend den Finger an die Lippen.
Der Wolf ging dorthin, wo der Prinz zusammengerollt wie ein Kätzchen auf seiner Decke lag. Er schob die Schnauze an Pflichtgetreus Ohr. Ich gab ihm ein Zeichen, er solle den Jungen nicht wecken, aber er schenkte mir keine Beachtung. Mehr noch, er schob die Nase unter des Prinzen Wange und gab ihm einen Schubs. Der Kopf des Jungen rollte schlaff herum wie der eines Toten. Mein Herz stand still, dann hörte ich das raunende Ein und Aus seiner schlafträgen Atemzüge. Der Wolf stieß ihn noch einmal an. Immer noch wachte er nicht auf.
Ich erwiderte den bestürzten Blick des Narren, dann kniete ich neben dem Jungen nieder. Nachtauge schaute mir ins Gesicht.
Er hat nach ihnen gespürt und nach ihnen gegriffen und dann auf einmal war er fort. Ich kann ihn nicht mehr spüren. Nachtauge war beunruhigt.
Er ist weit, weit weg. Ich überlegte. Dies ist nicht die Alte Macht.
»Halte du Wache«, bat ich den Narren, dann legte ich mich neben Pflichtgetreu auf den Boden und schloss die Augen. Als bereitete ich mich darauf vor, in tiefes Wasser zu tauchen, atmete ich bewusst ein und aus, passte mich dem Rhythmus von Pflichtgetreus Atemzügen an. Veritas , dachte ich, aus keinem anderen Grund, als dass es mir half, mich zu konzentrieren. Ich zögerte, dann tastete ich nach des Prinzen Hand und griff danach. Ich hielt sie in der meinen und fühlte mit einer unvernünftigen Freude die Schwielen in seiner Handfläche. Noch einmal holte ich tief Atem und stürzte mich in den Strom der Gabe. Da wir so dicht beieinander lagen, fand ich den Prinzen sofort.
Ich machte mein Bewusstsein an ihm fest und ließ mich mit ihm treiben, als blinder Passagier. Auf diese Art, wurde mir plötzlich klar, hatte Galens Kordiale seinerzeit König Listenreich bespitzelt. Damals hatte ich diese Heimtücke verachtet, jetzt aber machte ich bedenkenlos davon Gebrauch und folgte dem Prinzen.
Das Gefühl des Wiedererkennens, das mich getroffen hatte wie ein Schlag, als ich dem Jungen zum ersten Mal ins Gesicht sah, die bis ins Mark gespürte Verwandtschaft, war nichts, verglichen mit dem, was ich jetzt erlebte. Wie gut kannte ich das kühne Suchen des Jungen, seinen kunstlosen, furchtlosen Gebrauch der Gabe. Genau wie es bei mir damals gewesen war, ein wildes Hinausgreifen, ohne zu wissen, wie ich es bewerkstelligte oder eine Ahnung von der Gefahr, in der ich schwebte. Er spürte hinaus mit der Alten Macht, doch gleichzeitig gebrauchte er die Gabe. Bestürzt erkannte ich, dass wie bei mir, seine Gabenmagie verfälscht war von der Alten Macht. Nachdem er sich an diese Methode gewöhnt hatte, könnte er dann jemals lernen, nach den Regeln mit der Gabe umzugehen?
Plötzlich wurden diese Überlegungen vollkommen verdrängt. Eingehüllt in die Gabe, beobachtete ich seine Alte Macht und war entsetzt.
Prinz Pflichtgetreu war die Katze. Nicht genug, dass er mit dem Tier verschwistert war, er ging völlig darin auf, bewahrte nichts von sich selbst. Nachtauge und ich hatten unsere Bewusstseine gefährlich eng verwoben, aber das des Prinzen löste sich in seiner Verschwisterung auf.
Schlimmer noch war die Bereitwilligkeit, mit der die Katze die Unterwerfung des Prinzen hinnahm. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und ich erkannte, es war gar keine Katze. Die Katze war nur eine dünne Hülle. Es war eine Frau. Ich geriet vor Verwirrung ins Trudeln und hätte um ein Haar meinen Halt an dem Prinzen verloren. Die Alte Macht wirkte nicht zwischen Mensch und Mensch, das war die Eigenschaft der Gabe. Griff er denn mit der Gabe hinaus zu der Frau? Nein. Diese Verbindung kam nicht mittels der Gabe zustande. Ich bemühte mich, den
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