Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Königsburg zurückbringst, ist alles, wie es sein sollte. Wir halten die Zukunft auf der Bahn, die ich für sie bereitet habe, selbst wenn die Geschichte ohne mich ihren Fortgang nimmt. Doch sollten wir scheitern, sollte er sterben …«
»Wovon redet ihr?«, fragte der Prinz aufgebracht.
Die Narr ließ den angefangenen Satz unvollendet. Er starrte den Hang hinunter auf die Gescheckten, die gemächlich näher rückten, aber sein Blick schien durch sie hindurchzugehen. Mein Rücken stieß fast an den Monolithen. Pflichtgetreu hörte auf, sich gegen meinen Griff zu sträuben, wie gebannt von der halblauten Stimme des Narren. »Sollten wir alle hier den Tod finden«, fuhr dieser fort, »dann ist es – zu Ende. Für uns. Doch ist das nicht die einzige Veränderung, die wir bewirkt haben, und der Strom der Zeit wird sich seinen Weg bahnen, unerbittlich alle Hindernisse hinwegspülen. Folglich findet das Schicksal – sie. In allen Zeiten streiten die Mächte des Schicksals gegen den Fortbestand des Geschlechts der Weitseher. Hier und jetzt beschützen wir Pflichtgetreu. Doch wenn wir fallen, wenn Nessel das einzige Objekt jenes Widerstreits wird …« Er blinzelte einige Male und holte stockend Atem, bevor er sich wieder mir zuwandte, wie von einer weiten Reise zurückgekehrt. Mit unendlich gütiger Stimme sprach er das Furchtbare aus. »Ich konnte keine Zukunft finden, in der Nessel lebt, nachdem der Prinz gestorben ist.« Sein Gesicht wurde grau und seine Augen waren alt, als er hinzufügte: »Und nirgends ist ihr ein schnelles, gnädiges Ende vergönnt.« Er sah mich beschwörend an. »Wenn du auch nur das geringste Vertrauen zu mir hast, dann tu, was ich gesagt habe. Nimm den Jungen. Sorge dafür, dass er am Leben bleibt.«
»Aber …« Ich war betäubt, wie gelähmt. Die vielen Opfer, die ich gebracht hatte, um sie zu schützen? Alles für nichts? Meine Fantasie vervollständigte das Bild. Burrich, Molly und ihre Söhne würden zu ihr stehen, mit ihr sterben. Ich hatte das Gefühl zu ersticken.
»Geh«, sagte der Narr beschwörend.
Ich hatte keine Ahnung, was der Junge sich bei unserem Gespräch dachte. Er war nur ein Gewicht, das ich eisern festhielt, während sich in meinem Kopf die Gedanken überschlugen. Es gab kein Entkommen aus diesem Labyrinth, in welches uns hineinzusetzen dem Schicksal gefallen hatte. Nachtauge übernahm es, mir die grausame Logik klar und deutlich vor Augen zu halten. Wenn du hier bleibst, werden wir dennoch sterben, alle. Sollte der Junge überleben, nehmen ihn die Zwiehaften mit und benutzen ihn für ihre Zwecke. Der Tod wäre gnädiger. Uns kannst du nicht retten, aber du kannst den Jungen vor ihnen in Sicherheit bringen.
Unmöglich kann ich dich zurücklassen. Wir können nicht so enden, du und ich. Tränen blendeten mich ausgerechnet jetzt, wo es besonders wichtig war, klar zu sehen.
Wir können nicht nur, es ist unvermeidlich. Das Rudel stirbt nicht, solange der Welpe lebt Sei ein Wolf, mein Bruder, dann ist alles viel einfacher. Überlass es uns zu kämpfen, während du den Welpen rettest. Und durch ihn Nessel. Lebe gut, für uns beide, und eines Tages kannst du Nessel Geschichten von mir erzählen.
Und dann war die Galgenfrist abgelaufen. »Ihr habt eure Chance vertan!«, schrie ein Mann zu uns herauf. Die Reihe Berittener hatte sich zu einem Halbkreis formiert, der uns einen Ausbruch nach vorn oder zur Seite verwehrte. »Schickt uns den Jungen, und wir machen ein schnelles Ende! Wenn nicht …« Und er lachte laut auf.
Keine Sorge unsertwegen. Ich werde sie zwingen, uns rasch zu töten.
Der Narr rollte die Schultern. Er fasste das Schwert mit beiden Händen, schwang es einmal probeweise durch die Luft und hielt es dann mit angewinkelten Armen senkrecht vor sich. »Beeil dich, Herzlieb.« In seiner Fechterpose sah er aus wie ein Tänzer, nicht wie ein Kämpfer.
Ich hatte die Wahl: entweder mein Schwert ziehen oder den Prinzen festhalten. Der Menhir befand sich genau hinter mir. Ich warf einen hastigen Blick über die Schulter, vermochte aber die verwitterte Glyphe nicht zu deuten. Auch gut. Jeder Bestimmungsort musste mir recht sein. Mit einer mir selbst fremden Stimme verlangte ich von der Welt zu wissen: »Wie kann das Schwerste, was ich je in meinem Leben getan habe, zugleich auch das Schändlichste sein?«
»Was hast du vor?«, fragte der Junge plötzlich. Er merkte, dass etwas bevorstand, und obwohl er nicht ahnen konnte, was es war, fing er an, sich heftig gegen
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