Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
musste. Gras und Wald hatten das Land wieder in Besitz genommen, aber Erde, die einst den Pflug gekannt hat, behält ihre Narben. Moos überzog die als Acker-oder Weidegrenzen aufgeschichteten Feldsteinmauern; oben wuchs Gras zwischen Disteln und Dornenranken, die solches Mauerwerk zu lieben scheinen. »Kein Leben währt ewig«, schienen die Mauern zu sagen. »Vier aufeinander gelegte Steine werden all eure Träume überdauern und noch stehen, wenn eure Nachfahren längst vergessen haben, dass ihr je hier gelebt habt.«
Pflichtgetreu sprach während des ganzen Rittes kein Wort. Ich drückte ihm das Messer zwischen die Rippen. Bei dem geringsten Anzeichen, dass die Frau versuchte, sich seines Körpers zu bemächtigen, hätte ich ihm die Klinge ins Herz gestoßen. Sein Geist schien sehr weit weg zu sein. Ich nutzte die Zeit, um unsere Häscher zu zählen. Zusammen mit Lutwin waren sie ein rundes Dutzend.
Zu guter Letzt gelangten wir zu einer Höhle in einer Hügelflanke. Vor langer Zeit hatte jemand davor aus Feldsteinen eine Umfriedung gebaut, um mehr Platz zu haben. Die Überreste eines hölzernen Tors hingen schief in den Angeln. Schafe, dachte ich. Ein guter Platz, um Schafe für die Nacht unterzubringen. Bei schlechtem Wetter konnten sie in der Höhle Schutz suchen. Meine Schwarze hob den Kopf und wieherte eine Begrüßung zu Malta hin.
Insgesamt waren es also fünfzehn Gescheckte, viel zu viele, um es mit ihnen aufzunehmen, selbst wenn ich nicht ganz allein gewesen wäre.
Ich stieg mit den anderen aus dem Sattel und zog den Prinzen hinter mir vom Pferd. Er ging in die Knie, und ich fing ihn auf. Seine Lippen bewegten sich, als führte er ein lautloses Selbstgespräch, aber zu hören war nichts. Seine Augen wirkten glasig und abwesend. Ich drückte ihm das Messer fest an die Kehle. »Falls sie versucht, ihn zu übernehmen, ehe die anderen beiden frei und unterwegs sind, töte ich ihn trotz unserer Abmachung«, warnte ich. Lutwin schien von meiner Drohung überrascht zu sein, dann wandte er sich ab und bellte: »Peladine!« Sofort kam eine Nebelkatze aus der Höhle gesprungen. Sie fixierte mich mit einem hasserfüllten, starren Blick. Wie sie langsam schreitend auf mich zukam, das war der Gang einer Frau, deren Willen man durchkreuzt hat, nicht das Schleichen einer Katze.
Der Prinz schaute ihr entgegen. Er sagte nichts, aber ich fühlte, wie er gepresst ausatmete. Lutwin ließ sich vor ihr auf ein Knie nieder. »Ich habe einen Tauschhandel abgeschlossen«, erklärte er halblaut. »Wenn wir seine Freunde freilassen, gibt er uns den Prinzen unversehrt. Mehr noch, er begleitet dich zurück nach Bocksburg und wird dafür sorgen, dass niemand auf den Gedanken kommt, dem Prinzen könnte etwas Sonderbares widerfahren sein.«
Ich weiß nicht, ob zwischen ihnen eine Verständigung stattfand, oder ob Lutwin ihre Zustimmung einfach voraussetzte. Er stand wieder auf und sagte zu mir gewandt: »Geh hinein. Deine Freunde sind dort.«
Es kostete mich ungeheure Überwindung, ihm in diese Höhle zu folgen. Draußen im Freien gab es die, wenn auch verschwindend geringe Hoffnung auf Flucht. Drinnen waren wir gefangen. Ich konnte nichts weiter tun, als mir das Versprechen geben, dass sie Pflichtgetreu nicht bekommen würden. Ihm die Kehle durchzuschneiden, wäre das Werk eines Sekundenbruchteils. Ich war nicht so sicher, dass ich imstande war, mir selbst einen schnellen Tod zu geben, ganz zu schweigen von Nachtauge und dem Narren.
Im Innern der Höhle brannte ein kleines Feuer, und bei dem Geruch von bratendem Fleisch beschwerte sich mein vernachlässigter Magen. Man hatte sich anscheinend bemüht, eine Art militärisches Lager zu errichten, aber für mich sah das Ganze mehr nach dem Schlupfwinkel einer Räuberbande aus. Möglicherweise war es besser, nicht darauf zu vertrauen, dass Lutwin seine Leute fest an der Kandare hatte. Dass sie sich ihm angeschlossen hatten, musste nicht bedeuten, dass sie bereit waren, ihm bedingungslos zu gehorchen.
Von dieser Erkenntnis beglückt, durchforschte ich mit Blicken das halbdunkle Innere der Höhle, während Lutwin noch mit seinen Leuten redete, die er als Aufpasser zurückgelassen hatte. Uns hatte er keinen Bewacher zugewiesen. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet, und ich nutzte die Gelegenheit, mich von der Gruppe zu entfernen. Einige wurden aufmerksam, aber niemand gebot mir Einhalt. Jinnas Amulett lugte noch aus meinem Hemdausschnitt, und ich lächelte harmlos. Man sah, dass ich
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