Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Flüche entgegen und ein anderer brüllte, wahrscheinlich wäre er selbst einer von dieser Brut der Zwiehaften und gehörte verbrannt. Königin Kettricken befahl ihnen zu schweigen, doch zum Ende des Wettstreits gab sie ihm kein Preisgeld wie den anderen Sängern.«
Ich schwieg. Als sie merkte, dass ich den Köder nicht schluckte, fügte sie hinzu: »Weil er verschwunden war, als sie sich erhob, um diejenigen zu belohnen, die ihr wohlgefällig gewesen waren. Sie rief seinen Namen als ersten, doch niemand wusste, wohin er gegangen war. Ich glaube nicht, dass ich seinen Namen schon einmal gehört habe. Pinnesson.«
Sohn von Pinne, Sohnessohn von Zänker, hätte ich ihr sagen können. Beide, Zänker wie Pinne, hatten in Veritas’ Leibgarde gedient. Meine Gedanken wanderten zurück, um in der Vergangenheit Pinnes Gesicht zu finden, als er im Garten der Steine Veritas zu Füßen fiel, vor dem Tor des Todes. Ja, so musste es für ihn ausgesehen haben. Veritas, der aus dem pechschwarzen Gabenpfeiler heraustrat, angeleuchtet vom zuckenden Schein ersterbender Flammen. Pinne erkannte seinen König, mochte dieser auch nach der langen Zeit der Prüfungen und Entbehrungen nur noch ein Schatten seiner selbst sein. Er hatte ihm gehuldigt, und Veritas hatte ihm aufgetragen, nach Bocksburg zu gehen und allen zu verkünden, der rechtmäßige König werde zurückkehren. (Ich war fast sicher, dass Veritas vor dem Sendboten in Bocksburg angelangt war. Fliegende Drachen sind um einiges schneller als ein Mann zu Fuß.)
Keinen Augenblick war mir der Gedanke gekommen, dass Pinne auch mich erkannt haben könnte. Wer hätte ahnen sollen, dass er seine Erlebnisse in der Familie weitererzählte und erst recht, dass er einen Sänger zum Sohn haben würde?
»Ich sehe, dass du ihn kennst«, äußerte Merle vielsagend.
Ich schaute zu ihr hin und merkte, dass ihre Augen gierig in meinem Gesicht zu lesen suchten. Ich seufzte. »Nein. Der Name ist mir fremd. Ich musste an etwas denken, das du vorhin gesagt hast. Die Zwiehaften sind aufsässig geworden. Warum?«
Sie zog die Augenbrauen in die Stirn. »Müsstest du das nicht besser wissen als ich?«
»Ich führe hier ein abgeschiedenes Leben, Merle, wie dir bekannt sein dürfte. Neuigkeiten über die Vorgänge in der Welt draußen dringen nicht bis zu mir, nur das, was du mir mitbringst.« Nun versuchte ich, in ihrem Gesicht zu lesen. »Und diese Information hast du mir vorenthalten.«
Sie wandte den Kopf zur Seite, und ich fragte mich: War es Absicht gewesen? Hatte Chade ihr befohlen, mir nichts davon zu sagen? Oder hatte sie es einfach vergessen, über ihren Histörchen und Schwänken und Berichten von ihren sängerischen Triumphen? »Es ist keine lustige Geschichte. Ich glaube, es begann vor anderthalb Jahren, vielleicht sind es auch zwei. Mir kam es vor, als ob man immer häufiger von Zwiehaften hörte, die aufgespürt und in den Kerker geworfen worden waren. Oder hingerichtet. Du weißt, wie die Menschen sind, Fitz. Nach dem Krieg gegen die Roten Schiffe hatten sie für geraume Zeit genug von Morden und Blutvergießen, doch wenn der Feind endlich besiegt und vertrieben ist, dein Haus aufgebaut, die Äcker bestellt und das Vieh fruchtbar, nun, dann wird es Zeit, wieder einen scheelen Blick auf den Nachbarn zu werfen. Ich denke, Edel weckte mit seinen blutigen Kampfspielen und Gottesurteilen die Lust an der Grausamkeit in den Sechs Provinzen. Vielleicht werden wir diese Hinterlassenschaft niemals wieder los.«
Sie rührte an einen Albtraum. Des Königs Rund in Fierant, die eingesperrten Tiere, der Geruch nach geronnenem Blut, Gerechtigkeit durch Zweikampf auf Leben und Tod – die Erinnerung hinterließ ein Gefühl der Übelkeit.
»Vor zwei Jahren – richtig«, fuhr Merle fort. Sie ging im Zimmer auf und ab. »Das war, als der alte Hass auf die mit der Alten Macht von neuem aufflammte. Die Königin verurteile öffentlich jegliche Ausschreitungen und Übergriffe. Deinetwegen, nehme ich an. Sie ist beliebt im Volk, und sie hat während ihrer Regierung zahlreiche Veränderungen bewirkt, aber was die Zwiehaften angeht, sind Misstrauen und Groll zu tief verwurzelt. Die Leute im Dorf denken: Was kann sie von unseren Sitten und Gebräuchen wissen, wo sie doch aus dem Bergreich kommt? Also, obwohl Königin Kettricken es nicht guthieß, ging die Jagd auf die Zwiehaften weiter wie seit jeher. Dann, in Trenury in Farrow, ungefähr vor anderthalb Jahren, kam es zu einem entsetzlichen Vorfall. Wie die
Weitere Kostenlose Bücher