Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
heran und begann sie wütend vollzustopfen. »Ich weiß nicht, weshalb ich mich je mit dir abgegeben habe«, fauchte sie.
Ausgerechnet in diesem Moment kam Harm von draußen herein, als hätten wir drinnen nicht bereits genug Probleme, den Wolf hinter sich. Beim Anblick von Merles grimmiger Miene wandte er sich an mich. »Soll ich wieder gehen?«, fragte er geradeheraus.
»Nein.« Merle spuckte das Wort aus. »Du kannst bleiben. Ich bin diejenige, die er hinauswirft. Dank deiner Einmischung. Vielleicht denkst du einen oder zwei Augenblicke darüber nach, Harm, was aus dir geworden wäre, wenn ich dich in diesem Dorf gelassen hätte, um weiter in den Müllhaufen herumzustochern. Ich hätte Dank von dir verdient, nicht Verrat.«
Die Augen des Jungen wurden groß. Nichts anderes, was sie je getan hatte, nicht einmal ihre letzte Täuschung mir gegenüber, nahm ich ihr so sehr übel, wie mit ansehen zu müssen, wie sie ihm seelische Wunden schlug. Er schaute mich an, erschüttert, als rechnete er damit, dass auch ich mich gegen ihn wandte. Dann rannte er aus der Tür. Nachtauge warf mir einen schiefen Blick zu und trabte hinter ihm her.
Ich komme gleich nach. Lass mich erst das hier zu Ende bringen.
Du hättest es nie anfangen sollen.
Ich ließ den Vorwurf in der Luft hängen, denn mir fiel keine gute Antwort ein. Merle schaute trotzig zu mir auf, doch als ich unter zusammengezogenen Brauen ihren Blick erwiderte, sah ich etwas wie Angst über ihre Züge huschen. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Du solltest jetzt aufbrechen«, sagte ich gepresst. Der wachsame Ausdruck in ihren Augen schmerzte mich fast so sehr wie die Gemeinheit, die sie Harm an den Kopf geworfen hatte. Ich ging hinaus, um ihr Pferd zu holen. Ein prachtvolles Tier und ein prachtvoller Sattel, beides zweifellos Liebesgaben von einem prachtvollen jungen Mann. Die Stute spürte meinen inneren Aufruhr und tänzelte ruhelos, während ich sie sattelte. Ich atmete tief ein, nahm mich zusammen und legte ihr die flache Hand an den Hals. Ich vermittelte ihr Ruhe und wurde dadurch selber ruhig. Ich strich an ihrem schlanken Hals entlang. Sie wandte den Kopf, um ihre Nase an mein Hemd zu drücken. Ich seufzte. »Gib auf sie Acht, ja? Weil sie manchmal vergisst, auf sich selbst zu achten.«
Ich war nicht verschwistert mit diesem Tier und meine Worte waren nur beruhigende Geräusche. Als Erwiderung spürte ich von ihr Anerkennung meiner Dominanz. Ich führte sie zur Vorderseite der Hütte und wartete. Gleich darauf trat Merle auf den Vorbau.
»Du kannst es nicht erwarten, mich loszuwerden, stimmt’s?«, fragte sie bitter. Sie warf ihren Packen über den Sattel und machte das Pferd wieder unruhig.
»Das ist nicht wahr und du weißt es.« Ich bemühte mich, meiner Stimme einen gleichmütigen Klang zu geben. Der Schmerz, den ich unterdrückt hatte, wühlte sich durch die erniedrigende Erkenntnis, wie leicht ich zu täuschen gewesen war, und den Zorn darüber, wie sie mich benutzt hatte. Unsere Beziehung war keine zarte, tief empfundene Liebe gewesen, vielmehr eine Art Schicksalsgemeinschaft, die die Vereinigung unserer Körper einschloss und das Vertrauen, in den Armen des anderen zu schlafen. Der Verrat eines Freundes unterscheidet sich von der Untreue Liebender nur im Grad des Schmerzes, nicht in der Beschaffenheit. Plötzlich wusste ich, dass ich sie eben belogen hatte, ich wollte nichts lieber, als dass sie verschwand. Ihre Gegenwart war wie der Pfeil in einer Wunde; die Heilung kann erst beginnen, wenn er herausgeschnitten ist.
Trotz allem suchte ich nach Worten zum Abschied, etwas, um das Gute an dem, was wir gehabt hatten, zu bewahren, aber mir fiel nichts ein, und am Ende stand ich stumm daneben, als sie mir die Zügel aus der Hand riss und aufstieg. Sie schaute vom Rücken des Tieres auf mich herab. Ich bin überzeugt, auch sie empfand Kummer über den Bruch zwischen uns, doch auf ihrem Gesicht zeigte sich nur der Unmut darüber, dass ich trotz ihrer Oberzeugungsversuche standhaft geblieben war. Sie schüttelte den Kopf.
»Du hättest es zu etwas bringen können. Trotz deiner Herkunft hat man dir jede Chance gegeben, etwas aus dir zu machen. Du hättest eine bedeutende Persönlichkeit sein können. Denk daran. Du hast es so gewollt.«
Sie zog den Kopf der Stute herum, nicht so roh, dass sie sie im Maul verletzt hätte, aber heftiger, als nötig gewesen wäre. Dann stieß sie ihr die Hacken in die Weichen und trabte fort von mir. Ich schaute
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