Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
träumten gut zusammen. Pflichtgetreus Verlust war es vielleicht, der uns besonders eindringlich bewusst machte, was wir immer noch besaßen und was wir gehabt hatten. Wir träumten von einem Welpen, der unter dem vermoderten Bretterboden einer alten Scheune Ratten jagte, und wir träumten von einem Mann und einem Wolf, die gemeinsam einen mächtigen Keiler zur Strecke brachten. Wir träumten davon, dass wir im tiefen Schnee uns gegenseitig beschlichen, balgten und jaulten und jauchzten. Rehblut, heiß im Mund, die fette Leber, um sich darum zu zanken. Und dann sanken wir unter diese Jugenderinnerungen in vollkommene Ruhe und Stille. Heilung nimmt in solchem tiefen Schlaf ihren Anfang.
Er regte sich zuerst. Ich erwachte halb, als er aufstand, sich vorsichtig schüttelte und dann mit größerem Selbstvertrauen streckte. Sein scharfer Geruchssinn verriet mir, dass der Morgen nahe war. Eben erst begann die fahle Sonne, das taufeuchte Gras zu streicheln, weckte die Gerüche der Erde. Das Wild rührte sich. Es war die Stunde der Jagd.
Ich bin so müde, jammerte ich. Ich kann nicht glauben, dass du aufstehst. Schlaf noch. Wir jagen später.
Du bist müde? Ich bin so müde, dass Schlaf mich nicht erquickt Nur die Jagd vermag das. Seine feuchte Nase stieß gegen meine Wange. Kommst du nicht mit? Ich war sicher, dass du mit mir kommen wolltest.
Ja, das will ich. Aber nicht so früh. Lass mich noch ein kleines bisschen schlafen.
Nun gut, ein kleines bisschen. Folge mir, wenn dir danach ist
Doch mein Bewusstsein ließ sich von ihm tragen und begleitete ihn, wie schon so oft. Wir verließen die von Menschengestank durchwaberte Höhle und trabten am Grabhügel der Nebelkatze vorbei. Wir witterten ihren Tod und auch den Fuchs, der von dem Geruch angelockt worden war, aber umkehrte, als ihm der Rauch des Lagerfeuers entgegenwehte. Bald hatten wir das Lager hinter uns gelassen. Nachtauge wählte das offene Grasland statt des bewaldeten Tals. Der Himmel über uns war blau und tief, die letzten Sterne verblassten. In der Nacht schien ein erster Frost über das Land gezogen zu sein. Reif säumte noch manche Halme, doch wenn die aufgehende Sonne ihn berührte, verdampfte er und war fort. Was blieb, war die klare Frische der Luft, jeder Geruch scharf wie ein Messerschnitt. Mit der Nase des Wolfs witterte ich alles, kannte alles. Die Welt war unser.
Die Zeit der Veränderung, sagte ich zu ihm.
Genau. Zeit sich zu verwandeln, Wandler.
Fette Mäuse sammelten im hohen Gras eifrig die Samen als Wintervorrat. Wir beachteten sie nicht. Oben auf der Anhöhe machten wir Halt. Wir spazierten auf dem Kamm entlang, hielten die Nase in den Morgen, schmeckten den ersten Hauch des jungen Tages. Am Grund der dicht bewaldeten Schluchten ging das Rotwild zum Äsen. Feist war es jetzt vor dem Winter, gesund und stark, eine Herausforderung für jedes Rudel, erst recht für einen einzelnen Wolf. Ohne mich konnte er nicht hoffen, einen Riss zu machen. Er musste später noch einmal wiederkommen. Dessen ungeachtet blieb er am Schluchtrand stehen. Die morgendliche Brise zauste sein Fell, während er mit nach vorn gespitzten Ohren hinunterschaute, dorthin wo wir das Wild in der Deckung der Bäume wussten.
Gute Jagd. Ich gehe nun, mein Bruder. Er sprach mit großer Entschiedenheit.
Allein? Du kannst allein keinen Bock reißen! Ich seufzte ergeben. Warte auf mich. Ich stehe auf und komme zu dir.
Auf dich warten? Schwerlich! Immer habe ich vor dir herlaufen müssen und dir den Weg zeigen.
Gedankenschnell hatte er sich mir entzogen und glitt den Hang hinunter wie ein Wolkenschatten an einem stürmischen Tag. Das Band zwischen uns zerfaserte, je weiter er sich entfernte, löste sich auf, schwebte, verwehte gleich Löwenzahnsamen im Wind. Statt klein und heimlich fühlte ich unser Bündnis weit werden und offenbar, als hätte er alle zwiehaften Geschöpfe der ganzen Welt eingeladen, Zeuge unserer Verschwisterung zu sein. Das gesamte Netz des Lebens ringsumher, unendlich verkettet, verflochten, verwoben, überwältigte mich mit beseligtem Staunen. Der Zauber, die Herrlichkeit, drohten mir das Herz zu sprengen. Ich musste hin zu ihm, bei ihm sein; wie sollte einer allein das Wunder dieses Morgens ertragen, es war zu groß.
»Warte!«, rief ich und erwachte vom Klang meiner eigenen Stimme. Nicht weit von mir setzte der Narr sich auf, schlaftrunken, mit wirrem Haar. Ich blinzelte. Mein Mund war voll mit Salbe und Wolfshaar, meine Finger tief in seinem Pelz
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