Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
hilfloser Bestürzung und des Wartens. So habe ich Trauer stets empfunden, eine Zeit des Wartens, nicht darauf dass der Schmerz vergeht, sondern dass man sich an ihn gewöhnt.
Meine Laune wurde nicht gehoben dadurch, dass Fürst Leuenfarb und Laurel die Reise augenscheinlich weniger ermüdend und trist fanden als der Prinz und ich. Sie ritten vor uns, Bügel an Bügel, und auch wenn sie nicht lauthals lachten oder fröhliche Wanderlieder sangen, unterhielten sie sich doch beinahe pausenlos, und man hatte den Eindruck, dass sie großen Gefallen an ihrer gegenseitigen Gesellschaft fanden. Ich hielt mir vor, dass ich schwerlich ein Kindermädchen brauchte und dass es stichhaltige Gründe gab, weshalb der Narr und ich unsere alte Freundschaft vor Laurel und Pflichtgetreu verbergen sollten. Doch ich fühlte mich zerfressen von Einsamkeit und Kummer, und Groll war die am wenigsten schmerzhafte Empfindung, die ich in mir wachrufen konnte.
Drei Tage vor dem für die Verlobung angesetzten Termin erreichten wir Neufurt. Der Name beschrieb den Ort: eine Furt und Fähre, die noch nicht da gewesen waren, als ich das letzte Mal hier vorbeikam. Es gab eine große Werft und eine ansehnliche Flotte flachbödiger Flussschiffe lag dort vertäut. Die dazu gehörige Siedlung war frisch aus dem Boden geschossen, mit ihren noch Harz absondernden Holzhütten und Lagerschuppen. Ohne uns aufzuhalten ritten wir zum Anleger hinunter und warteten im Regen, bis die Abendfähre zur Abfahrt bereit war.
Der Prinz hielt die Zügel seines Mausgrauen und starrte schweigend über das Wasser. Der Regen der letzten Tage hatte den Fluss anschwellen lassen, er floss schnell und trübe, aber ich konnte nicht einmal mehr genügend Liebe zum Leben in mir erwecken, um den Tod zu fürchten. Das Schlingern und Krängen der Fähre, während die Knechte gegen die Strömung ankämpften, erschien mir nur als eine weitere lästige Verzögerung. Verzögerung?, fragte ich mich sarkastisch. Wohin konnte ich es denn nicht abwarten zu kommen? Zu Heim und Herd? Weib und Kind? Harm, erinnerte ich mich, er war mir noch geblieben, doch kaum gedacht, wusste ich schon, ich machte mir etwas vor. Harm war ein junger Mann, der seinen eigenen Lebensweg antrat. Wenn ich mich jetzt an ihn klammerte, ihn zum Mittelpunkt meines Daseins machte, handelte ich nach der Art eines Blutegels. Und wer war ich nun, allein, ohne all die anderen? Eine schwierige Frage.
Bockend scharrte der Kahn über kiesigen Grund, dann zogen Männer ihn höher aufs Ufer. Wir waren auf der anderen Seite. Bocksburg war nur noch einen Tagesritt entfernt. Irgendwo über der dichten Wolkendecke hielt sich noch die Sichel des alten Mondes. Wir würden rechtzeitig zu Pflichtgetreus Verlobung eintreffen. Wir hatten es geschafft. Doch ich spürte kein Gefühl der Erleichterung oder der Freude. Ich wollte nur diese Reise hinter mich bringen.
Als wir anlegten, regnete es noch immer in Strömen, und der Fürst entschied, dass wir an diesem Abend nicht weiterreiten würden. Das Gasthaus hier war älter als das Dorf auf der anderen Seite des Flusses. Der Regen verschleierte die übrigen Gebäude des Weilers, aber ich glaubte einen Mietstall zu erkennen und dahinter verstreut einige Hütten. Das Herbergsschild zeigte ein gemaltes Ruder, an den Hauswänden kam unter dem teils heruntergewaschenen Kalkanstrich das grau verwitterte Holz zum Vorschein. Das schlechte Wetter hatte der Herberge einen ungewöhnlich großen Andrang beschwert. Abgerissen wie Fürst Leuenfarb und seine Begleiter aussahen, wurden sie nicht mit der einem adligen Herrn gebührenden Ehrerbietung empfangen; glücklicherweise verfügte der Fürst über genügend Barschaft, um sich sowohl die Achtung als auch die Dienstfertigkeit des Wirts zu sichern. Kaufmann Krähenfalk, wie er sich vorstellte, konnte zwei Schlafkammern für uns ergattern, davon war eine allerdings kaum mehr als ein Verschlag unter dem Dach. Diese, erklärte seine ›Schwester‹ kurzerhand, sei genau das, was sie wolle, ihr Herr Bruder und die beiden Knechte sollten sich die größere Kammer teilen. Der Prinz trug es mit Fassung, dass man ihn als Knecht ausgab. In Umhang und Kapuze stand er tropfend neben mir auf dem Vorbau, bis ein Hausknecht kam, um zu bestellen, dass die Kammer unseres Herrn gerichtet sei.
Als ich ins Haus trat, hub im Schankraum eine Frauenstimme an zu singen. Aber natürlich, dachte ich. Natürlich. Wer konnte besser in einem Gasthaus auf bestimmte Reisende warten,
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