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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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unterweisen kann als er.«
    Wahrhaftig, Chade war auf seine alten Tage recht geschwätzig geworden.
    Pflichtgetreu setzte sich im Bett auf und begann seine Argumente an den Fingern abzuzählen. Ich musterte ihn derweil kritisch. An den dunkel umschatteten Augen und eingefallenen Wangen konnte man sehen, wie sehr er gelitten hatte, doch irgendwann im Lauf des letzten Tages oder so, musste ihm bewusst geworden sein, dass er weiterleben würde. Er hielt einen Finger hoch. »Deine Züge tragen den Stempel der Weitseher. Die Augen, das Kinn – nicht die Nase. Ich weiß, wo du den Knick her hast, das liegt nicht in der Familie.« Er hielt den zweiten Finger hoch. »Die Gabe ist die Erbmagie der Weitseher. Mindestens zweimal habe ich gespürt, wie du Gebrauch davon gemacht hast.« Ein dritter Finger. »Du nennst Chade einfach ›Chade‹ und nicht ›Lord Chade‹ oder ›Kanzler Chade‹. Und einmal habe ich gehört, wie du von meiner Mutter als Kettricken gesprochen hast. Nicht einmal Königin Kettricken, sondern nur Kettricken. Als wärt ihr zusammen Kinder gewesen.«
    Vielleicht waren wir das. Was meine Nase anging, nun, in gewisser Weise trug doch ein Weitseher dafür die Verantwortung. Sie war eine dauerhafte Erinnerung an die Tage, die ich als Gast in Edels Kerker hatte verbringen dürfen.
    Ich trat zu dem Leuchter auf dem Tisch und blies die Kerzen aus, bis auf eine. Pflichtgetreus Blicke folgten mir, als ich zu meiner Pritsche zurückging und mich hinsetzte. Sie war kurzbeinig und hart und dicht bei der Tür: der Platz eines Dieners, der seine gnädigen Herrn beschützt. Ich streckte mich darauf aus.
    »Nun?«, drängte er.
    »Ich werde jetzt schlafen.« Mein Ton ließ keinen Zweifel daran, dass für mich das Gespräch beendet war.
    Er schnaubte geringschätzig durch die Nase. »Ein wirklicher Diener hätte erst um Erlaubnis gefragt, bevor er die Kerzen löscht. Und ob er sich zu Bett begeben darf. Gute Nacht, Tom Dachsenbless Weitseher.«
    »Schlaft wohl, Euer Königliche Hoheit.«
    Noch ein Schnauben von ihm. Dann Stille, bis auf das Trommeln des Regens auf dem Dach und das fette Pladdern der Tropfen in den aufgeschwemmten Morast im Hof. Stille, abgesehen vom leisen Knistern des Feuers und der gedämpften Wein-und Bierseligkeit aus der Schankstube. Stille, bis auf trunkene Schritte, die an unserer Tür vorbeistolperten. Doch am schrecklichsten und am tiefsten erschien mir die Stille in meinem Herzen, wo viele Jahre lang Nachtauges Bewusstsein ein Licht in meiner Dunkelheit gewesen war, ein Quell der Wärme in meinem Winter, ein Leitstern in meiner Nacht. Nach ihm waren meine Träume dünne, zerfahrene, menschliche Gebilde, die mit dem Erwachen zerstoben. Tränen quollen warm unter meine geschlossenen Lider. Ich drehte mich auf den Rücken und bemühte mich, lautlos durch den offenen Mund zu atmen.
    Ich hörte, wie der Prinz sich im Bett herumwarf, einmal, zweimal. Endlich stand er auf, leise, leise, und ging zum Fenster. Dort stand er eine Weile und schaute in die Nacht und den Regen hinaus. »Geht es vorbei, irgendwann?« Er sprach leise, wie zu sich selbst, aber ich wusste, die Frage war an mich gerichtet.
    Ich holte tief Atem und bemühte mich, meiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Nein.«
    »Niemals?«
    »Eines Tages findest du vielleicht ein neues Geschwistertier. Aber das Erste vergisst man nie.«
    Er rührte sich nicht, schaute weiter starr nach draußen. »Wie viele Geschwistertiere hast du gehabt?«
    Erst wollte ich nicht antworten, aber dann sagte ich es doch: »Drei.«
    Schemenhaft erkannte ich, dass er den Kopf drehte und zu mir herschaute. »Wird es auch für dich einen neuen Bund geben?«
    »Ich bezweifle es.«
    Er ging vom Fenster weg und stieg wieder ins Bett. Es raschelte, als er die Decken hochzog und sich hineinwickelte. Ich dachte, er würde einschlafen, doch offenbar lag ihm noch etwas auf dem Herzen. »Wirst du mich auch in der Alten Macht unterweisen?«
    Irgendjemand sollte dir jedenfalls etwas beibringen und sei es nur, nicht so schnell Vertrauen zu fassen. »Ich habe nicht gesagt, dass ich dich überhaupt unterweisen werde.«
    Er schwieg eines Weile, und es klang fast eingeschnappt, als er murmelte: »Es wäre besser, wenn mir irgendjemand irgendetwas beibringen würde.«
    Ein langes Schweigen folgte, und ich hoffte, er wäre eingeschlafen. Mir gefiel nicht, wie seine Worte in meinem Kopf nachhallten. Regen schlug gegen die dicken Butzenscheiben des Fensters, und Dunkelheit

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