Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
in meine eigene, stockfinstere Kammer. Alles war genau so, wie ich es verlassen hatte. Ich schloss die Tür sorgfältig hinter mir, schob den Riegel vor, betätigte den Schnapper und begann den mühsamen Aufstieg zu Chades Refugium.
Halb hatte ich damit gerechnet, ihn dort anzutreffen, wie er begierig darauf wartete, dass ich ihm Bericht erstattete. Natürlich war er nicht da, sondern bei den Feierlichkeiten unten, aber wenn schon nicht er selbst, so hieß der Raum mich willkommen. Eine Sitzwanne stand neben dem Kamin, und ein großer dampfender Wasserkessel hing über dem Feuer. Der Tisch war gedeckt mit erlesenen Speisen aus wahrscheinlich denselben Schüsseln, aus denen die Noblesse unten sich bediente, dazu eine Flasche Wein. Ein Teller, ein Glas. Fast hätte ich mich dem Selbstmitleid ergeben, doch mit dem nächsten Blick bemerkte ich, dass jetzt neben dem seinen ein zweiter bequemer Sessel vor dem Kamin bereitgestellt war. Auf diesem Sessel harrten meiner ein Stapel Handtücher und ein wollener blauer Hausmantel. Außerdem hatte Chade Leinen und Verbandsstoff herausgelegt, gekrönt von einem Topf scharf riechender Salbe. Inmitten der vielen Dinge, um die er sich zweifellos kümmern musste, hatte er an mich gedacht. Ich wusste es zu schätzen, auch wenn mir klar war, dass er die vielen Eimer Wasser nicht selbst heraufgetragen hatte. Hm. Sein Diener also, oder sein Famulus? Ein Geheimnis, welches noch zu lüften war.
Ich goss das heiße Wasser in die Wanne und fügte kaltes hinzu, bis die Temperatur mir behagte. Dann belud ich einen Teller mit Leckerbissen und stellte ihn nebst der geöffneten Flasche Wein in Reichweite neben die Wanne. Nach diesen Vorbereitungen ließ ich meine durchweichten Kleider auf den Boden fallen, wo ich stand, legte Jinnas Amulett auf den Tisch und verbarg die Federn in Chades staubigster Schriftrolle. Ich wickelte den Verband von meinem Hals, stieg in die Wanne, senkte mich nach und nach in das heiße Wasser und lehnte mich bequem zurück. Während meine sattelmüden Glieder sich entspannten, aß ich etwas, trank ein Glas Wein und wusch mich lustlos. Langsam wich die Kälte aus meinen Knochen. Die Traurigkeit, die blieb, war eine saure, sattsam vertraute Last, die mir das Herz beschwerte. Ich fragte mich, ob Merle in der Großen Halle sang und spielte. Ich fragte mich, ob Fürst Leuenfarb Laurel zum Tanze führte. Ich fragte mich, was Prinz Pflichtgetreu über die Kindfrau denken mochte, die das stürmische Meer an seine Schwelle gespült hatte. Ich rutschte tiefer in die Wanne und trank Wein aus der Flasche und wahrscheinlich bin ich eingenickt.
»Fitz?«
Die Stimme des alten Mannes klang besorgt. Ich erwachte mit einem Ruck, fuhr hoch, und eine Wasserwelle schwappte über den Wannenrand. Verschwommen merkte ich, dass ich den Hals der Weinflasche noch umklammert hielt. Er griff danach, bevor ich sie fallen lassen konnte und stellte sie mit Nachdruck auf den Tisch. »Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ich muss eingeschlafen sein.« Benommen starrte ich ihn an, wie er in seinem Staatsgewand vor mir stand, Juwelengeglitzer an den Ohren und am Hals. Er kam mir vor wie ein Fremder, und ich schämte mich plötzlich, schlafend, nackt und halb betrunken in einer Wanne mit lauwarmem Wasser ertappt worden zu sein. »Lass mich aussteigen«, murmelte ich.
»Nur zu.« Er legte Holz nach, während ich aus dem Wasser stieg, mich abtrocknete und in den blauen Hausmantel wickelte. Von dem langen Weichen im Wasser waren meine Hände und Füße runzlig geworden. Er füllte einen kleineren Kessel, hängte ihn über das frisch geschürte Feuer und holte dann Teekanne und Becher von einem Regal. Ich schaute zu, wie er Teeblätter aus mehreren mit Korken verschlossenen Dosen mischte.
»Wie spät ist es?«, fragte ich kraftlos.
»So spät am Abend, dass Burrich sagen würde, es sei früh am Morgen«, antwortete er, setzte den Tisch zwischen die Sessel vor dem Kamin und stellte die Teekanne und die zwei Becher dort ab. Endlich nahm er auf seiner Chaise Platz und wies einladend auf den zweiten Sessel. Ich setzte mich und unterzog meinen alten Mentor einer verstohlenen Musterung. Er war die ganze Nacht auf gewesen und doch wirkte er nicht müde, sondern im Gegenteil frisch und munter. Seine Augen blickten hell, seine Hände waren ruhig. Jetzt faltete er sie im Schoß und schaute eine Weile schweigend darauf nieder. »Es tut mir Leid«, sagte er dann, hob den Kopf und begegnete meinem Blick. »Ich werde
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