Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Entscheidung hinausschob, um erst mehr Geld anzusammeln. Nicht etwa, weil ich die Trennung fürchtete. Nur weil ich ihn gut versorgt wissen wollte.
Der Wolf fragte nicht nach der Reise, die ich vor einiger Zeit vorgeschlagen hatte. Ich glaube, insgeheim war er froh, dass nicht mehr die Rede davon war. Es gab Tage, da war mir zumute, als hätten Merles Worte einen alten Mann aus mir gemacht. Was bei mir nur ein Gefühl war, hatten die Jahre Nachtauge in Wirklichkeit angetan. Für einen Wolf war er sicher sehr alt, obwohl ich keine Ahnung hatte, welche Lebensspanne seinen wilden Verwandten gewöhnlich zugemessen war. Manchmal dachte ich darüber nach, ob unsere Verschwisterung ihm ein unnatürlich langes Leben schenkte. Einmal kam mir sogar der Gedanke, dass er vielleicht von meinen Jahren zehrte, um seine eigene Spanne zu verlängern. Diese Vorstellung war jedoch nicht mit Unmut darüber verbunden, dass er mir etwas wegnahm, sondern mit der Hoffnung, dass uns beiden noch eine schöne lange Zeit zusammen beschieden sein möge. Denn war der Junge erst bei einem Meister untergebracht, wen sonst hatte ich auf der Welt, außer Nachtauge?
Eine Zeit lang wartete ich darauf, dass Chade vielleicht noch einmal zu Besuch kam, da er nun den Weg kannte, aber die langen Tage des Sommers verdämmerten einer nach dem anderen und der Pfad zu unserer Hütte blieb leer. Zweimal fuhr ich mit dem Jungen zum Markt, um Junghennen, Tinten und Farben feilzubieten, Wurzeln und Kräuter, von denen ich annahm, dass sie dort als selten und ungewöhnlich galten. Nachtauge zog es vor, zu Hause zu bleiben; ihm missfiel nicht allein der lange Marsch, sondern Staub, Lärm und Gedränge des viel besuchten Marktes. Ich teilte seine Abneigung, zwang mich aber trotzdem hinzugehen. Wir machten nicht so gute Geschäfte wie erhofft, denn die meist ländliche Kundschaft war gewöhnt, in Naturalien zu zahlen, nicht in klingender Münze. Davon abgesehen war es für mich eine angenehme Überraschung, wie viele Leute sich an Tom Dachsenbless erinnerten und sich freuten, dass ich wieder einmal auf den Markt kam.
Beim zweiten Mal ergab es sich, dass wir Harms Krudhexe aus Burgstadt trafen. Wir hatten unsere Waren hinten auf dem Ponywagen aufgebaut. Der Vormittag war halb herum, als sie auftauchte und Harm freudig begrüßte. Ich stand stumm ein paar Schritte abseits und schaute zu, wie sie sich unterhielten. Er hatte mir erzählt, Jinna wäre hübsch und das war sie auch, doch ich muss zugeben, es erstaunte mich zu sehen, dass sie im Alter eher zu mir passte als zu Harm. Ich hatte angenommen, es handle sich um ein Mädchen, das ihm beim Frühlingsfest den Kopf verdreht hatte. Stattdessen war sie eine Frau nahe den mittleren Jahren, mit haselnussbraunen Augen, vereinzelten Sommersprossen und lockigem, rötlichbraun schimmerndem Haar. Sie hatte die gerundete, wohlgeformte Gestalt einer reifen Frau. Als er ihr beichtete, dass man ihm das Amulett gegen Taschendiebe gestohlen hatte, ehe der Tag zu Ende war, lachte sie laut – ein offenes, herzhaftes Lachen. Dann erklärte sie ihm, das sei die beabsichtige Wirkung des Amuletts. Schließlich wäre seine Börse verschont geblieben, als der Dieb statt ihrer das Amulett entwendete.
Endlich fiel es Harm ein, zu mir herzuschauen, um mich in die Unterhaltung einzubeziehen, aber ihr Blick hatte mich bereits gefunden. Sie musterte mich mit der Miene, die Eltern sich gewöhnlich für verdächtig aussehende Fremde vorbehalten, die ihren Kindern gefährlich werden könnten. Als ich zu Harms Vorstellung lächelte und nickte und ihr einen guten Tag wünschte, lösten sich ihre Züge, und sie erwiderte das Lächeln herzlich. Dabei trat sie näher, ließ ihre Augen forschend über mein Gesicht wandern, und ich merkte, dass sie ein wenig kurzsichtig war.
Im Schatten unseres Wagens breitete sie ihre Matte aus. Harm half ihr, die Amulette und Glücksbringer ansprechend auszulegen und danach machten die beiden den Marktbesuch zum Vergnügen und erzählten sich, was seit dem Frühlingsfest passiert war. Ich hörte zu, wie Harm von seinen Zukunftsplänen erzählte. Jinna gegenüber machte er kaum ein Hehl daraus, wie sehr er sich den Möbeltischler in Burgstadt wünschte, statt des Bootsbauers in Hammerby. Ich grübelte, ob es nicht doch vielleicht irgendeinen Weg gab, nicht nur das höhere Lehrgeld aufzubringen, sondern jemanden zu finden, der an meiner Statt mit dem Meister verhandelte. Ob Chade sich überreden ließ, mir in dieser
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