Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Gefühle zu verletzten, war jetzt die geringste meiner Sorgen. In seinem Körper zu sein war ein merkwürdiges Gefühl, als hätte man eines anderen Mannes Kleider angezogen. Ich war mir jeder Kleinigkeit von ihm bewusst, von den Zehennägeln bis zur Schwanzspitze. Luft strich fremd über meine Zunge und selbst in meiner Not sprachen die Gerüche des Tages zu mir. Ich roch den Schweiß meines menschlichen Körpers nahebei und war mir schwach des Narren bewusst, der sich über diesen Körper beugte und ihn schüttelte.
Keine Zeit, darauf zu achten. Ich hatte den Ursprung der Schmerzen entdeckt. Sie strahlten von seinem/ meinem krampfhaft zuckenden Herzen aus. Dass ich den Wolf zur Ruhe gezwungen hatte, half bereits, aber das hinkende, unregelmäßige Pulsieren des Blutstroms verkündete die düstere Botschaft von einem ernsthaften Schaden.
In einen Brunnenschacht hinunterschauen ist etwas ganz anderes, als tatsächlich nach unten zu steigen und sich umzusehen. Ein unzulänglicher Vergleich, aber der beste, den ich anbieten kann. Statt das Herz des Wolfs zu spüren, war ich das Herz. Ich weiß nicht, wie ich es bewerkstelligte; in Bildern ausgedrückt war es, als stemmte ich mich verzweifelt gegen eine verschlossene Tür. Ich wusste, dahinter lag die Rettung, und plötzlich gab die Tür nach. Ich war sein Herz und kannte meine Funktion in seinem Körper und wusste auch, meine Funktion war beeinträchtigt. Muskeln waren im Dienst vieler Jahre erlahmt. Als Herz bemühte ich mich, ruhiger zu schlagen. Nachdem ich das erreicht hatte, ließ der schmerzhafte Druck nach und ich ging ans Werk.
Nachtauge hatte sich in einen hinteren Winkel unseres Bewusstseins zurückgezogen. Ich ließ ihn dort schmollen und konzentrierte mich auf meine Aufgabe. Womit kann ich vergleichen, was ich tat? Weben? Bauen, Stein auf Stein? Vielleicht war es mehr wie Strümpfe stopfen. Ich besserte aus und verstärkte, was schwach und fadenscheinig geworden war. Nicht ich, Fitz, bewirkte das, sondern als Teil von Nachtauges Körper, leitete ich diesen Körper durch eine vertraute Prozedur. Von mir gelenkt und angetrieben, tat er seine Arbeit schneller als gewöhnlich. Weiter war nichts dabei, sagte ich mir beklommen, doch ich ahnte, dass irgendwo irgendjemand für diese Beschleunigung eines Heilungsprozesses würde büßen müssen.
Als die Arbeit getan war, zog ich mich zurück. Ich war nicht länger ›Herz‹, doch fühlte ich mit Stolz dessen neue Kraft und Stetigkeit. Gleichzeitig mit der Erleichterung durchzuckte mich eine plötzliche Angst. Ich befand mich nicht in meinem eigenen Körper, ich hatte keine Ahnung, was mit meinem Körper geschehen war, während ich versuchte, Nachtauges Leben zu retten. Ich hatte nicht einmal eine Vorstellung davon, wie viel Zeit vergangen sein könnte. Verwirrt griff ich nach Nachtauge, doch er stieß mich zurück.
Ich habe das nur getan, um dir zu helfen, verteidigte ich mich.
Er schwieg. Seine Gedanken konnte ich nicht klar erkennen, seine Gefühle jedoch waren eindeutig. So gekränkt und beleidigt hatte ich ihn noch nie erlebt.
Nun gut, gab ich ihm frostig zu verstehen. Ganz wie du willst. Verärgert überließ ich ihn sich selbst.
Plötzlich war alles sehr verwirrend. Ich wusste, ich musste irgendwohin gehen, aber ›irgendwohin‹ und ›gehen‹ waren Vorstellungen, die nicht zu passen schienen. In gewisser Weise fühlte ich mich daran erinnert, wie es gewesen war, unvorbereitet in die reißende Strömung des Gabenflusses zu geraten. Dieser Fluss aus reiner Magie konnte das Selbst eines unerfahrenen Gabenkundigen zerschleißen, konnte eines Menschen Bewusstsein in seinen Fluten auflösen, bis er nichts mehr von sich wusste. Mein jetziger Zustand jedoch war anders insofern, dass ich nicht das Gefühl hatte zu vergehen, sondern als ob ich hilflos in der Strömung dümpelte, ohne einen Halt, außer in Nachtauges Körper. Ich konnte den Narren meinen Namen rufen hören, aber das half nichts, denn ich hörte seine Stimme mit Nachtauges Ohren.
Siehst du, bemerkte er kummervoll. Siehst du, was du uns angetan hast? Ich habe versucht, dich zu warnen, ich habe versucht, dich zu hindern.
Ich finde eine Lösung, es gibt einen Ausweg, antwortete ich heftig. Wir wussten beide, dass ich nicht log, sondern mit aller Kraft danach strebte, die Behauptung wahr zu machen.
Ich löste mich von seinem Körper. Ich verschloss mich seinen Sinneseindrücken, Fühlen, Hören, Sehen, weigerte mich, den Staub auf der Zunge zu
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