Die Zwerge
klare Beschlüsse fassen könnte«, entgegnete Gandogar aufgebracht. »Ich werde mich dem Starrsinn nicht unterwerfen und zusehen, wie die beste Gelegenheit auf Vergeltung ungenutzt verstreicht. Alles ist im Umbruch, und wir müssen handeln und nicht endlose Streitgespräche führen oder uns Bier in den Hals schütten, bis wir besoffen auf unser Lager fallen, nur um am nächsten Tag mit dem Schwafeln und Saufen fortzufahren!«
Balendilín neigte seinen Kopf leicht nach vorn. »Was du im Begriff bist zu tun, König Gandogar, gefällt mir nicht. Du kannst nicht gegen die Gesetze unseres Volkes verstoßen.« Sein ausgestreckter Arm deutete auf die Tafeln, auf denen all die Texte eingemeißelt waren. »Wer daran rüttelt, zerbricht die Grundlage und die letzten Reste unserer Gemeinschaft. Sollte das deine Absicht sein, so nimm deinen Hammer und zerschlage die Platten! Schreibe deine eigenen Gesetze, aber die Geschichte wird dich und deine Taten nicht vergessen.«
Bislipur stellte sich neben Gandogar, die Hand an der Axt. Die Spannung in der Halle wuchs beängstigend, ein offener Ausbruch von Gewalt lag in der Luft.
Da wurden die Flügeltüren mit Macht aufgestoßen.
»Kein Bier! Nicht jetzt!«, schrie Gandogar zornentbrannt, weil er dachte, weitere Fässer mit gebrautem Gerstensaft sollten hereingebracht werden.
»Der zweite Thronanwärter ist angekommen!«, rief ein Bote stattdessen.
Die Köpfe der Zwerge schnellten herum; gespannt schauten sie zum Eingang, in dem sich die Silhouetten von drei Zwergen, einer Langen und eines gewaltigen Kriegers abzeichneten. Gemurmel setzte ein.
»Ich werde zuerst mit ihm reden«, sagte Gundrabur erleichtert, »und ihn willkommen heißen. Allein.« Er kehrte mit Balendilíns Hilfe auf den Thron zurück und wartete, dass die Abgesandten die Halle verließen.
Sie warfen dem unbekannten Zwerg, der zwischen den Zwillingen stand, neugierige Blicke zu, wagten es aber nicht, ihn anzusprechen. Bis auf Bislipur.
Drohend baute er sich vor Tungdil auf. »Du bist keiner von uns!«, stieß er verächtlich aus. »Kehre zu Lot-Ionan zurück und lass die Zwerge ihre Angelegenheit selbst regeln. Wir brauchen dich nicht, wir haben bereits einen Nachfolger.«
»Und wir bringen einen besseren«, erwiderte Boëndal kalt und schob sich vor den Schützling. »Du hast Gundrabur gehört. Raus, Bislipur.«
Ingrimmsch stellte sich an die Seite seines Bruders und grinste Gandogars Mentor an. »Wenn du Streit suchst, Zweiter, lass es mich wissen. Ich rasiere dir den Bart mit meinen Beilen«, zwinkerte er ihm zu. Bislipur schnaubte und ging davon. Die Tore schlossen sich und sperrten auch Andôkai und Djer_n aus.
Der Großkönig winkte die drei zu sich. Er und sein Berater blickten freundlich auf Tungdil herab. »Der verlorene Sohn kehrt zu seinem Volk zurück«, begrüßte er ihn und stand auf, um ihm die Hand auf die Schulter zu legen. »Vraccas sei Dank, dass er uns dich hat finden lassen.«
Ergriffen beugte Tungdil das Haupt; die Aufregung machte seine Kehle trocken, und er bekam kein Wort heraus. Er fühlte sich dreckig und verschwitzt, seine Wunden schmerzten trotz der Behandlung durch Boїndil noch immer, und der Griff des Großkönigs traf eine empfindliche Stelle. Alles in allem sollte man dem Herrscher über alle Stämme der Zwerge so nicht unter die Augen treten, doch der sah über seinen ungepflegten Zustand gütig hinweg.
Gundrabur richtete sich an die Zwillinge. »Ihr seid eurem Ruf als die besten Krieger mehr als gerecht geworden«, lobte er sie. »Mein Dank ist euch gewiss. Geht nun und ruht euch aus.«
Ingrimmsch wandte den Blick zu Boden, weil er die Anerkennung nicht annehmen wollte. Seit dem Vorfall in der Oase machte er sich unentwegt Vorwürfe, versagt zu haben, denn ohne Djer_n wäre der Thronanwärter tot. Das nagte schwer an ihm. Gemeinsam mit seinem Bruder verließ er die Halle.
»Bevor ich dir alles erkläre, berichte uns, was ihr unterwegs alles erlebt habt«, forderte Balendilín ihn auf auf.
Tungdil würgte seine Aufregung hinunter; er war dankbar, dass er von seiner Reise erzählen durfte. Während seines Berichts gewann er mehr und mehr seine Ruhe zurück. Doch die riesigen Hallen, die monumentalen Bollwerke und Mauern, die Statuen, das allgegenwärtig Zwergische drohten ihn zu überwältigen.
»Bevor ich beginne, bitte ich darum, dass Andôkai und Djer_n mit allem versorgt werden, was sie benötigen. Sie haben mir unterwegs Beistand geleistet.« Unbewusst war er in
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