Die Zwillingsschwestern
Woche.«
»Ich
werde die belegten Fächer mal selber nachsehen«, sagte ich. »Zeigen Sie sie mir
mal.«
Er
zeigte sie mir. Im ersten lag die Leiche, die gestohlen worden und im
Fernsehstudio wieder aufgetaucht war. Die nächste war ein alter Mann. Ich
öffnete den dritten Schub, und Thelma Davis schaute mich aus weitaufgerissenen
Augen genauso überrascht an wie sieben Stunden zuvor. Hastig schob ich das Fach
wieder zu.
Der
vierte war Howard Davis. Ich trat ganz nahe heran und bemerkte den Fleck auf
dem Leichentuch über seiner Brust.
»Nehmen
Sie denn nicht für jeden Neuen frische Tücher?« fragte ich angewidert. »Das ist
doch das mindeste, was Sie tun können, Charlie.«
»Natürlich
tue ich das!« sagte er. »Wofür halten Sie mich denn — glauben Sie, ich hätte
keinen Respekt vor den Toten?«
»Bei
dem haben Sie geschlampt«, sagte ich.
»Zeigen
Sie mal!« sagte er zornig. Ich deutete mit dem Finger auf den bräunlichen
Fleck, und er errötete. »Ich kann mir nicht erklären, wie das passiert ist«,
stotterte er. »Es war ein frisches Tuch, ich weiß es genau, frisch aus der
Wäscherei.« Er beugte sich nach vorn. »Moment mal«, sagte er leise. »Hier
stimmt was nicht.«
Er
packte das Tuch und zog es von der Leiche. Dann vernahm ich undefinierbare
Geräusche aus seiner Kehle. Ich starrte auf das gähnende Loch in Davis’ Brust,
dann wandte ich mich hastig ab. Charlie lehnte an einem Schrank. Seine Augen
waren weit aufgerissen, und sein Gesicht nahm langsam eine grünliche Färbung
an.
Ich
knallte das Fach zu und erreichte die Rye-Flasche im selben Augenblick wie er.
Er war so erschüttert, daß er nicht mal maulte, als ich beide Gläser bis zum
Rand füllte.
Als der
Whisky unten war, schaute ich Charlie an und sah, daß er sein Glas ebenfalls
ausgetrunken hatte, jedoch ohne Wirkung. Sein Gesicht war noch immer grün und
seine Augen groß und rund.
»Reißen
Sie sich zusammen, Charlie«, sagte ich. »Das war zwar ein schlimmer Schock,
aber Sie müssen schon furchtbarere Dinge gesehen haben.«
Stumm
schüttelte er den Kopf und murmelte etwas.
»Menschenskind«,.
sagte ich ungeduldig. »Ich hielt Sie für den einzigen Menschen, den nichts mehr
überraschen kann!«
Seine
Lippen bebten. »Haben Sie’s denn nicht gesehen?« flüsterte er.
»Klar,
ich hab’s gesehen. Der Kerl muß verrückt sein, einer Leiche ein Loch in die
Brust zu schneiden.«
Charlie
schüttelte kraftlos den Kopf. »Dann haben Sie’s also gar nicht gesehen«, sagte
er. »Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß etwas fehlte?«
»Fehlte?«
Ich unterdrückte das Verlangen, ihm eins auf die Nase zu wichsen. »Was fehlte?«
»Das
Herz«, flüsterte Charlie entsetzt. »Er hat ihm das Herz aus dem Leib
geschnitten — er muß es mitgenommen haben!«
ZEHNTES KAPITEL
P rudence
Calthorpe öffnete die Tür ihres Dach-Appartements und machte ein leicht
überraschtes Gesicht, als sie mich sah. »Sie hätten mir sagen sollen, daß Sie
kommen, Al«, meinte sie lässig. »Dann hätte ich einen Hexensud gekocht.«
»Wie
ich sehe, sind Sie noch immer eine ziemlich durchsichtige Hexe«, sagte ich.
Unter
dem Neglige aus Nylon hatte sie nichts an, eine Tatsache, der es an
Offensichtlichkeit nicht mangelte. »Ist was los, Al?« fragte sie mit
Unschuldsmiene. »Hat man den Polizeiball schon wieder verschoben? Was wirklich
Ernstes, wie das?«
»Haben
Sie zugesehen, als die Leute aus den Fenstern des Hotels in Miami sprangen?«
stellte ich die Gegenfrage. »Oder tat Ihnen der Bauch weh vor Lachen? Sie auf
den Gehsteig klatschen zu hören, muß Musik in Ihren Ohren gewesen sein!«
Sie
lächelte kühl. »Man könnte meinen, Sie wären über etwas verärgert.« Dann
schaute sie mich genauer an. »Al!« Sorge sprach aus ihrer Stimme. »Sie sind
verletzt! Kommen Sie herein, ich kümmere mich darum!«
Sie
ergriff meinen Arm und führte mich zum nächsten Sessel, in den sie mich
hineindrückte. »Jetzt bleiben Sie schön hier sitzen«, sagte sie. »Ich mache
Ihnen was zu trinken, und dann gehe ich an die Säuberungsaktion.«
In
Rekordzeit hatte ich meinen Drink, dann verschwand sie kurz, und als sie wieder
auftauchte, sah sie aus wie Florence Nightingale persönlich. Allerdings bezog
sich das nur auf den Kram, den sie heranschleppte, nicht aber auf ihr Äußeres.
Sie wusch mein Gesicht, trocknete die Wunde und rieb mit zarten Fingern
antiseptische Creme in die Wunde an meinem Kinn. Sie wollte auch noch die
Platzwunde auf meiner Stirn
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