Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
an, das muss genügen. Aber mir gefällt die Idee mit der Abstimmung. Der nette Mann da vorn– tut mir leid, ich höre nicht mehr so gut: Wie, sagten Sie, war Ihr Name?«
» Kittridge.«
» Mr. Kittridge. Er kommt mir sehr tüchtig vor. Wer dafür ist, dass er zu bestimmen hat, hebt die Hand.«
Alle hoben die Hand, nur Jamal nicht.
» Es wäre schön, wenn wir uns einstimmig entscheiden könnten, junger Mann.«
Die Demütigung ließ sein Gesicht glühen. » Herrgott, du alte Schachtel. Was willst du denn sonst noch von mir?«
» In vierzig Jahren als Lehrerin in einer staatlichen Schule bin ich mit Jungen wie dir oft genug fertiggeworden, glaub mir. Also los. Stell dich nicht so an.«
Resigniert hob Jamal die Hand.
» Prima.« Sie sah Kittridge wieder an. » Dann können wir jetzt losfahren, Mr. Kittridge.«
Kittridge warf einen Blick hinüber zu Pastor Don, der Mühe hatte, ernst zu bleiben.
» Okay, Danny«, sagte Kittridge. » Dann lass uns dieses Ding wenden und sehen, dass wir von hier wegkommen.«
12
Sie hatten ihn verloren. Wie um Himmels willen hatten sie ihn verlieren können?
Nach ihren letzten Informationen war Grey nach Denver hineingefahren. Dann war er vom Radar verschwunden– das Netz in Denver war in einem katastrophalen Zustand–, und seine Signatur war erst wieder einen Tag später von einem Verizon-Sendemast östlich der Stadt aufgefangen worden. Guilder hatte noch eine Drohne angefordert, um die Gegend abzusuchen, aber sie hatten nichts gefunden. Wenn Grey die großen Highways verlassen hatte und in die dünn bevölkerte Osthälfte des Staates weitergefahren war, dann konnte er jetzt meilenweit reisen, ohne ein Signal von sich zu geben.
Und überhaupt keine Spur von dem Mädchen. Wie man es auch drehte, es sah aus, als habe der Kontinent sie verschluckt.
Guilder konnte kaum etwas anderes tun, als auf Neuigkeiten von Nelson zu warten, und so hatte er reichlich Zeit, Greys Akte einschließlich des psychiatrischen Befunds der Strafvollzugsbehörde Texas zu studieren. Was mochte Richards sich dabei gedacht haben, als er solche Männer rekrutiert hatte? Menschliche Wegwerfartikel– obwohl gerade das, dachte Guilder, vermutlich der springende Punkt war. Wie die ursprünglichen zwölf Probanden, Babcock und Sosa und Morrison und der ganze unheimliche Rest, waren die Reinigungskräfte keine Leute, die irgendjemand vermissen würde.
Zum Beispiel: Lawrence Alden Grey, geboren 1970, McAllen, Texas. Mutter Hausfrau, Vater Schlosser, beide verstorben. Der Vater hatte als Sanitäter drei Einsätze in Vietnam absolviert. Ehrenvoll entlassen, mit Bronze Star und Purple Heart– aber der Kerl war trotzdem erledigt gewesen. Er hatte sich in der Fahrerkabine seines Pick-ups erschossen, und Grey, der gerade sechs Jahre alt war, hatte ihn gefunden. Dann war eine Reihe von inoffiziellen Stiefvätern gekommen, ein Säufer nach dem andern, wie es aussah. Wiederholter Missbrauch etc., und mit achtzehn war Grey allein und arbeitete als Bohrturmarbeiter auf den Ölfeldern bei Odessa und dann auf Plattformen im Golf. Er hatte nie geheiratet, aber das war nicht weiter verwunderlich: Sein psychiatrisches Profil verzeichnete haufenweise Probleme– von Zwangsneurosen über Depressionen bis hin zur traumatischen Dissoziation. Nach Ansicht des Psychiaters war der Kerl im Prinzip heterosexuell, doch bei so vielen Macken kam es darauf überhaupt nicht an. Die Jungen hatten Grey dazu gedient, seine kindlichen Missbrauchserfahrungen nachzuspielen, die er bis dahin verdrängt hatte. Er war zweimal verhaftet worden, einmal wegen Exhibitionismus– er plädierte erfolgreich auf Erregung öffentlichen Ärgernisses–, beim zweiten Mal wegen schwerer sexueller Nötigung. Im Grunde ging es darum, dass er einen Jungen angefasst hatte; dafür wurde niemand gehängt, aber schön war es auch nicht. Angesichts der ersten Verurteilung hatte der Richter ihm diesmal das Maximum aufgebrummt, achtzehn bis vierundzwanzig Jahre Haft. Die volle Strafe saß heutzutage jedoch kein Mensch mehr ab, und nach siebenundneunzig Monaten war er auf Bewährung entlassen worden.
Danach kam nicht mehr viel. Er war nach Dallas zurückgegangen, hatte kleine Jobs übernommen, aber keine feste Anstellung gefunden, war alle zwei Wochen mit seinem Bewährungshelfer zusammengetroffen, um in einen Becher zu pinkeln und Stein und Bein zu schwören, dass er nicht näher als hundert Meter an einen Spielplatz oder Schulhof herangekommen war. Die vom
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