Die zwoelf Gebote
aber er zwang sich zur Ausdauer. Das Bankkonto wuchs auf zwanzigtausend, dann zweiundzwanzigtausend, fünfundzwanzigtausend ... Und er erschien wieder bei der Frau im Maklerbüro. Sie erkannte ihn kaum noch. Er hatte viel Gewicht verloren und sah ausgemergelt und erschöpft aus. Er hatte obendrein einen Bart, weil er sich keine Zeit mehr zum Rasieren nehmen wollte und konnte. Seine Stimme war so schwach, daß sie ihn kaum mehr verstand.
„Geht es Ihnen nicht gut?" fragte sie.
„Doch, doch, es ist alles in Ordnung." Aber seine Stimme war nur ein heiseres Flüstern. „Ich habe jetzt achtundzwanzigtausend Dollar zusammen. Glauben Sie, daß -" Sie sah ihn mitleidig an. „Ich würde Ihnen ja gerne helfen. Aber unter dreißig geht nun einmal nichts."
Er nickte. Er brauchte lange, bis er imstande war, sich wieder vom Stuhl hochzurappeln. „Also gut", flüsterte er, „dann komme ich eben wieder."
Sie sah ihm nach, wie er davonschlurfte, und dachte bei sich: Das schafft er nicht. Das schafft er nicht mehr.
Und Howard dachte: Nur noch zweitausend fehlen. In ein paar Wochen habe ich die auch noch beisammen, und dann wird das Haus endgültig gekauft.
Seine Frau aber schickte Howard erneut zu dem Psychiater. Der Psychiater erkannte ihn ebenfalls nicht mehr. Howard sah aus, als stehe er schon am Rand des Todes, so abgemagert und ausgezehrt war er mit seinem langen Bart.
„Schön, Sie wiederzusehen, Howard", sagte er aber trotzdem. „Geht es Ihnen gut? Fühlen Sie sich wohl?"
„Mir geht es ausgezeichnet", sagte Howard. Aber seine Augen taten ihm weh, er hatte Magenschmerzen, und sein Kopf wollte ihm schier platzen. Mit all seinen Schmerzen konnte er den Doktor kaum noch sehen und erkennen.
„Das freut mich zu hören, Howard", sagte der Doktor. „Ihre Frau sagt mir, daß sie wegen dieses Hauses nicht einmal mehr Essen kaufen." „Das stimmt nicht", sagte Howard. „Sie kann soviel Pizza haben, wie sie will."
„Ja, aber man kann doch nicht nur von Pizza leben", sagte der
Psychiater.
„Ich schon", sagte Howard.
„Sind Sie immer noch so entschlossen, dieses Haus zu
kaufen?"
„Aber ja", sagte Howard. „Ich will dieses Haus mehr als alles andere auf der Welt."
Der Psychiater sagte: „Howard, kennen Sie eigentlich das Neunte und Zehnte Gebot: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus sowie Hab und Gut?"
„Es ist mir ziemlich egal, ob dies das Neunte oder Zehnte oder sonst ein Gebot ist", sagte Howard. „Ich will dieses Haus jedenfalls haben."
„Glauben Sie denn wirklich, damit glücklich zu werden?" Howard lächelte. „Sogar sehr glücklich werde ich damit sein." Der Psychiater beobachtete ihn schart. Howard hatte Löcher in den Schuhsohlen, und seine Kleidung war zerschlissen. Er sah aus wie ein Obdachloser. Der Mann war ganz offensichtlich krank im Kopf.
Der Psychiater sagte: „Howard, hören Sie einmal zu. Ihre Frau und ich haben schon darüber gesprochen, daß es eine gute Idee wäre, wenn wir sie ein paar Tage lang in einem Krankenhaus gründlich untersuchen würden. Ich finde nicht, daß es Ihnen sehr gut geht."
Da war Howard bereits auf den Füßen, und als er sprach, konnte ihn der Psychiater kaum verstehen, so leise war er. „Schicken Sie mir Ihre Rechnung, Doktor. Ich bezahle Sie, nachdem ich das Haus gekauft habe."
Schließlich war der Tag doch da, an dem Howard - obwohl er kaum noch zu gehen imstande war - in das Immobilienmaklerbüro getaumelt kam. Er sah noch magerer aus als das letzte Mal. Sein Bart war noch länger geworden und seine Kleidung noch schäbiger. Hätte die Frau nicht gewußt, wer er war, hätte sie ihn nicht einmal hereingelassen.
„Es ist geschafft", sagte Howard. „Jetzt habe ich das Geld." Und er legte ihr einen Barscheck über dreißigtausend Dollar
auf den Tisch.
Die Frau sah ihn ungläubig an. Da stand vor ihr ein Mann mit dreißigtausend Dollar, war dabei angezogen wie ein Landstreicher und roch, als hätte er schon ein halbes Jahr lang nicht mehr gebadet. Und er war so schwach, daß er kaum noch stehen konnte.
„Setzen Sie sich", sagte sie. „Sie armer Mensch. Ist das alles
Geld, das Sie auf der Welt besitzen?"
Howard nickte.
„Und Sie wollen es alles für dieses Haus ausgeben?" Howard nickte wieder.
Die lmmobilienmaklerin sagte: „Na gut. Wenn das Ihr fester Wille ist, dann gehört Ihnen das Haus."
Sie holte einen Kaufvertrag heraus. „Unterschreiben Sie hier." Howard griff nach der Schreibfeder, aber er war so schwach, daß er sie nicht
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