Die Zypressen von Cordoba
leuchtete, war er nur wenig
vorangekommen. Aufmerksam blickte er sich in der nun weniger
undurchdringlichen Finsternis um, versuchte seine Position zu
bestimmen. Zu seinem großen Schrecken stellte er fest, daß er immer
noch die massige Kalksteinfestung Sarkel und am gegenüberliegenden Ufer
die russischen Truppen ausmachen konnte, die allmählich aus dem Schlaf
erwachten und die schwelende Glut der Abendfeuer wieder anfachten, um
sich eine Morgenmahlzeit zuzubereiten. Jeden Augenblick würden nun die
Wachtposten am Ufer entlanggeritten kommen, die man weiter flußabwärts
aufgestellt hatte, um die Flanken der Truppen zu schützen, die sich zum
letzten Ansturm auf Sarkel bereitmachten. Koste es, was es wolle, er
mußte Deckung finden.
Durch das heller werdende Grau des Morgens erspähte er eine
Sandbank, die nur wenige Ruderschläge entfernt lag und von dichtem
Schilf überwachsen war. Rasch ruderte er dorthin, setzte mit äußerster
Vorsicht einen Fuß nach dem anderen auf den schlammigen Boden, bis er
ganz sicher war, daß er nicht nachgeben würde. Dann zerrte er das Boot
hinter sich an Land und duckte sich ins Schilf. So kauerte er den
ganzen Tag, von panischer Angst erfüllt, daß selbst die kleinste
Bewegung die Aufmerksamkeit der Soldaten erregen könnte. Zwischen den
schlanken Schilfrohren hindurch konnte er den weiteren Flußlauf
erkennen und ihn sich für die folgende Nacht einprägen.
Den ganzen Tag lang tobte die Schlacht, erschollen die
verzweifelten Schreie der Verwundeten, die im Sumpf versanken,
vermischten sich mit dem Klirren der Schwerter und dem Zischen von
Tausenden von Pfeilen, die über das Tal hin und her schwirrten. Bei
Einbruch der Nacht drangen andere Töne an sein Ohr. Aus der einstmals
mächtigen Festung der Chasaren erscholl rauhes Siegesgebrüll aus
Hunderten von russischen Kehlen …
Während die siegreichen Krieger feierten, war er von der
Sandbank zurück ins Wasser geschlichen, nun des Kurses sicher, den er
den ganzen Tag über geplant hatte. Im nächsten Morgengrauen befand er
sich unweit des rechten Flußufers und außer Reichweite der russischen
Truppen. Beim ersten Morgenlicht hielt er nach einer passenden
Landestelle Ausschau, wo er die steile Böschung hinaufklettern konnte,
die in Abständen immer wieder von tiefen Klüften durchzogen war.
Schließlich entdeckte er einen geeigneten Platz, stützte sich auf das
Ruder und setzte vorsichtig Fuß um Fuß, bis er unter großen Mühen die
Böschung erklommen hatte. Kaum war er oben angekommen, sackte er
erschöpft zusammen.
Er hatte den größten Teil des Tages geschlafen. Aber als er
aufwachte, stand er einem neuen Schrecken gegenüber: dem des
Verhungerns. Von dem spärlichen Proviant, den ihm Judah mitgegeben
hatte, war nichts mehr übrig, und als er sich umschaute, sah er nur die
unendliche Weite der Steppe, ohne jegliche menschliche Behausung.
Verzweifelt suchte er im Bewuchs des Flußufers nach Beeren, Wurzeln,
nach irgend etwas, das ihm die Hungerkrämpfe lindern könnte, die an ihm
nagten, das den Schwindel in seinem Kopf zum Stillstand bringen, seine
zitternden Knie stärken würde. Nichts. Er wagte nicht, sich zu weit vom
Flußlauf zu entfernen, damit er die Flößer nicht verpaßte. Und dann
schwebte vor seinen vernebelten Sinnen eine verschwommene Erinnerung.
Irgendwo, fiel ihm ein, hatte er gelesen, daß Schilfwurzeln eßbar
seien. Er hatte keine Wahl, er mußte die Böschung wieder hinabrutschen
und mit letzter Kraft die robusten Pflanzen mitsamt der Wurzel
ausreißen.
So hatte er zwei ganze Tage überlebt, ehe er ein Floß
erspähte, das langsam den Fluß hinuntergefahren kam. Einige geschickte
junge Männer sprangen leichtfüßig von einem Baumstamm zum anderen,
lenkten das Floß weg von den trügerischen Sümpfen ins Fahrwasser. Der
Kapitän, ein übelriechender Klotz von einem Kosaken erklärte sich
schließlich – gegen einen beträchtlichen Teil der Münzen aus
Judahs Beutel – widerwillig bereit, ihn auf seinem schmalen
Floß mitzunehmen und mit ihm das trockene Brot, das Salzfleisch, den
schimmeligen Käse und Knoblauch, ihren einzigen Proviant, zu teilen.
»Kein Alkohol«, grunzte er. Der war ihm allein vorbehalten. Nachdem
Demitrios den Brocken groben Schwarzbrots heruntergewürgt hatte, den
ihm der Kosak zuwarf, war er erschöpft niedergesunken und hatte beinahe
die ganze lange und langsame Floßfahrt flußabwärts verschlafen. Zum
Glück hatte er das Rütteln und Rucken der Baumstämme nicht
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