Die Zypressen von Cordoba
möchten? Vielleicht ist
alles ein makabrer Irrtum, die vergebliche Suche nach einer
Wunderheilung, die es gar nicht gibt, gar nicht geben kann?«
»Wir können nur abwarten«, seufzte Sari mit der geduldigen
Resignation der Älteren. Um Hais Gedanken abzulenken, fragte sie ihn
nach Amram. Wie ging es ihrem Enkel Amram, diesem lebhaften,
energiegeladenen Kind, das an Intelligenz, da war sie sich ganz sicher,
jeden anderen Fünfjährigen in Córdoba, ja in ganz Spanien übertraf?
Plapperte er nicht bereits fließend in arabischer und hebräischer
Sprache sowie im örtlichen romanischen Dialekt? Und besaß seine
arabische Kalligraphie nicht eine Eleganz, die man bei einer so jungen
Hand selten fand? Hais Augen strahlten, als er den Namen seines Sohnes
hörte, aber er fühlte sich trotzdem bemüßigt, die liebende Bewunderung
seiner Mutter ein wenig zu zügeln.
»Amram hat nur das aufgenommen, was er in seiner unmittelbaren
Umgebung sieht und hört. In seinem Alter ist nichts einfacher als das.
Mit einer Mutter, die ihre Zeit mit der Übersetzung gelehrter Werke aus
dem Arabischen ins Hebräische verbringt, mit einem Großvater, dessen
schöne Schrift im ganzen Kalifat berühmt war, mit dem ständigen Kommen
und Gehen von Patienten aus ganz Spanien in unserem Haus hat er sich
sein Wissen spielend leicht angeeignet, es beinahe wie
selbstverständlich in sich aufgenommen.«
»Nicht jedes Kind hat diese Fähigkeit«, beharrte Sari
störrisch wie immer. Und wie immer umarmte Hai sie liebevoll, ehe sie
sich beide ins Haus begaben und zu Bett gingen.
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I n der Dämmerung eines frühen Winterabends
erschien Stella, Amrams frühere Kinderschwester, an der Tür des
Landhauses. Sie war in viele wollene Schichten gehüllt und zitterte vor
Fieber. Ihre Hautfarbe war von Natur aus dunkel, und sie war immer
schon erschreckend dünn gewesen. Die großen braunen Augen, die ihr
schmales, knochiges Gesicht beherrschten, wirkten nun um so
eindringlicher. Ihre Wangen waren von der Krankheit eingefallen, und
sie bot ein Bild des Jammers.
Schnell brachte Dalitha sie ins Haus, und trotz Hais eiserner
Regel, daß alle Patienten warten mußten, bis sie an der Reihe waren,
bestand sie darauf, daß er Stella sofort untersuchte. Mit der für ihn
typischen Zartheit wickelte er die junge Frau aus den vielen
Kleidungsstücken, in die sie sich gehüllt hatte, und half ihr auf den
Diwan, auf dem er seine Patienten zu untersuchen pflegte. Schon seine
Berührung, als er ihr die Hand auf die fieberheiße Stirn legte, schien
sie zu beruhigen. Dann hustete sie, einen harten, trockenen Husten, und
ihre Augen blickten ihn flehend an, fanden Trost in seiner
Freundlichkeit. Als sie erneut hustete, nahm er ihr die Hand von der
Stirn und übte einen leichten Druck auf ihre flache, magere Brust aus,
die sich unter seinen empfindsamen Händen krampfartig hob und senkte.
Plötzlich horchte er auf. Nicht wegen des Hustens oder des hohen
Fiebers. Vielmehr hatte er mit den Fingerspitzen einen Knoten ertastet,
einen harten Knoten, der ihr offensichtlich keine Schmerzen bereitete.
Er deckte sie wieder zu, stand auf und wandte ihr den Rücken zu, um
seine Bestürzung zu verbergen, bereitete die Instrumente vor, die er
brauchte, um sie zur Ader zu lassen. Wegen ihrer allgemein zarten
Konstitution entnahm er aus der Knievene nur die Mindestmenge Blut, die
notwendig war, um sie von dem Überschuß an heißen, trockenen
Körpersäften zu befreien, die ihre Adern verstopften.
»Das hat beinahe überhaupt nicht weh getan«, lächelte Stella
schwach, erleichtert und unendlich dankbar. Dann verschrieb ihr Hai ein
Mittel, das den Husten lockern würde – zuerst Honigwasser, und
wenn das nicht half, ein Gemisch aus Honig und Butter.
»Ich möchte Euch auch empfehlen, möglichst nur Speisen zu Euch
zu nehmen, die kühl und feucht sind, zum Beispiel Spinat, Melonen,
Gurken, Salat, sowie Aprikosen, Pfirsiche, wenn Ihr sie in dieser
Jahreszeit noch bekommen könnt. Macht Euch keine Sorgen. Es geht Euch
bestimmt schon bald besser. Zieht Euch warm an, und ich schicke einen
meiner Burschen mit Euch, damit Ihr sicher nach Hause kommt.«
Nachdem sie gegangen war, hielt er ein wenig inne, ehe er den
nächsten Patienten hereinbat. Er brauchte Zeit zum Nachdenken. Stella
hatte sich nur eine schwere Wintererkältung zugezogen. Die würde schon
bald wieder vergehen. Aber was dann? Der harte Knoten in ihrer Brust,
den sie offensichtlich noch nicht bemerkt hatte,
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