Die Zypressen von Cordoba
Wirkung bekannt war. Er achtete
peinlich auf erste Anzeichen von Wundbrand, die sich als Folge der
Operation zeigen könnten, doch Abu'l Kasim hatte so sorgfältig
gearbeitet, daß diese Angst sich als unbegründet herausstellte.
Hais Besuche waren die Glanzpunkte in Stellas ereignislosen
Tagen. Die Fürsorge, die sie aus seinen tiefblauen Augen las, die zarte
Berührung seiner Hände auf ihrem Körper waren für sie das wirksamste
Heilmittel, das er verschreiben konnte. Hätte sie ihn nicht mit solcher
Ehrfurcht betrachtet, so hätte sie seine Hand auch auf die andere, die
gesunde Brust pressen mögen, um auch dort die süße und erregende
Berührung seiner Finger zu spüren. Von seiner ständigen aufmunternden
Gegenwart gestärkt, konnte sie schon bald eine Weile aufsitzen und
Nahrung zu sich nehmen.
Hai verschwendete keine Zeit und begann ihr sofort Ralambos
Extrakt zu verabreichen, gab ihr danach gleich einen süßen Honigtrunk,
um die Bitterkeit herunterzuspülen, die sie schaudern machte. Er
wartete, angespannt und geduldig, und er mußte nicht lange warten.
Schnell kehrten Stellas Kräfte zurück, genau wie die seines Vaters.
Ralambo hatte ihn nicht betrogen. So erleichtert er auch war, diesen
Verdacht nicht mehr hegen zu müssen, so war er sich zum anderen darüber
im klaren, wie gefährdet seine Patientin immer noch war. Nur wenn sie
den Extrakt ständig einnahm und dann eine beträchtliche Zeit gesund
blieb, konnte er vermuten, daß diese Behandlung wirksam war. Aber
nur vermuten, denn er würde niemals feststellen können, ob
die Operation allein oder der Extrakt allein oder eine Kombination von
beidem die bösartige Geschwulst eingedämmt hatte. Er würde unendliche
Geduld brauchen und müßte viele ähnliche Fälle sorgfältig beobachten,
um eine vorsichtige Schlußfolgerung ziehen zu können.
Als Dalitha etwa drei Wochen nach der Operation mit einem
vollbeladenen Frühstückstablett und einem fröhlichen Lächeln in Stellas
Zimmer trat, fand sie die Patienten auf und angekleidet. Unter
unzähligen Dankesbekundungen gab Stella ihr zu verstehen, sie könne nun
die Gastfreundschaft der Ibn Yatoms nicht mehr länger mißbrauchen. Sie
wolle nach Hause gehen und in Kürze wieder ihre Arbeit als
Kinderschwester bei anderen wohlhabenden Familien in Córdoba aufnehmen,
eine Arbeit, die sie sehr liebte.
»Bist du ganz sicher, daß du gesund genug bist, uns schon zu
verlassen?«
»Ich habe mich nie besser gefühlt.«
»Das freut mich sehr. Ich spreche nur kurz mit Hai. Er hat
wahrscheinlich noch ein Medikament für dich.«
»Was?« rief Hai aus und fuhr sich erstaunt mit den Händen
durch das Haar, als sie ihm Bericht erstattete. »Stella geht? Das ist
unmöglich. Sie kann nicht gehen. Ich brauche sie hier. Ich muß sicher
sein, daß sie den Extrakt genauso einnimmt, wie ich es ihr verschrieben
habe, damit ich die Wirkung beobachten und die Dosis verändern
kann …«
»Aber Hai, Liebster«, unterbrach ihn Dalitha, »Stella ist ein
Mensch, kein lebloses Studienobjekt. Sie hat ihr eigenes Leben, eigene
Bedürfnisse und Wünsche. Da du ihr nicht sagen kannst, wie lange sie
noch zu leben hat, hast du auch nicht das Recht, ihr das Vergnügen
vorzuenthalten, das sie in ihrem schlichten Alltagsleben findet.
Solange sie sich dazu in der Lage fühlt, muß es ihr gestattet sein, ein
normales Leben wie jeder andere Mensch zu führen.«
»Ich weiß, aber trotzdem …«
Schließlich einigte man sich. Stella würde genug Extrakt für
eine ganze Woche nach Hause mitbekommen sowie strikte Anweisungen, wie
sie ihn einzunehmen hatte. Wenn er aufgebraucht war, würde sie bei Hai
mehr abholen. So konnte er überprüfen, wieviel sie von dem Pulver
einnahm, und sie unter Beobachtung halten. Als Woche um Woche verging
und Stella regelmäßig stark und gesund bei ihm erschien, um sich ihren
Extrakt abzuholen, war Hai allmählich zufrieden. Jeder Tag, jede Woche
voller Leben und Gesundheit war ein Sieg im Kampf gegen den Tod.
Hai berichtete seinen Kollegen im Hospital kaum etwas von
seinem ersten Experiment. Nur Abu'l Kasim erkundigte sich ab und zu
nach dem Zustand der Patientin und lächelte wie Hai mit vorsichtigem
Optimismus. An dem Tag, als ihm Stella schüchtern mitteilte, sie werde
bald heiraten, leuchtete Hais Gesicht vor Freude auf. Ihr zukünftiger
Ehemann sei Sklave in dem Haushalt gewesen, in dem sie zuletzt
angestellt war, erzählte sie ihm. Inzwischen war er frei und hatte vor,
sich auf einem kleinen Stück
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