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Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yael Guiladi
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herrliche Pracht als zynische Täuschung betrachtet, die
Schönheit der Natur als trügerische Maske, die ihre Grausamkeit
verbergen sollte …
    Nie hatte der ältere, rebellische Sohn von Hai ibn Yatom so
inbrünstig gehofft, daß sich die Argumente seines Vaters bewahrheiten
würden. Nur eines ersehnte er: Hai und seinen Bruder Natan vorzufinden,
geschwächt vielleicht, aber doch immer noch damit beschäftigt, die
Verwundeten von Córdoba in dem Haus vor der Stadt zu versorgen, das
sein Heim gewesen war, ihr Arztberuf als Schutz für die ganze
Familie … Hätte er noch an den Gott seiner Ahnen geglaubt, er
hätte gebetet, aber die bestialische Schlächterei der
Berberhorden – auch sie Gottes Schöpfung – hatte
seinen Glauben an die Existenz eines Höheren Wesens für immer zerstört.
Wenn Er tatsächlich das barmherzige und allmächtige Wesen war, an das
die Menschen glauben wollten – glauben mußten –, wie
konnte Er dann zulassen, daß an unschuldigen Menschen solche
schrecklichen Greueltaten verübt wurden? Und doch, wenn Er nicht
existierte, an wen oder was konnten die ganz normalen Menschen sich
dann noch wenden, wenn ihnen sonst alle Hilfe verwehrt war? In Amrams
scharfem Verstand standen sich blinder Glaube und abgrundtiefe
Verzweiflung gegenüber. Keine von beiden Möglichkeiten bot eine Lösung.
Was dann? Nur ein skrupelloser Kampf ums Überleben, jeder für sich nach
den unbarmherzigen Gesetzen der Natur, ohne Tempel oder Priester, die
um die Gnade jenes Allmächtigen flehten?
    Die Sonne hatte schon beinahe ihren mittäglichen Höchststand
erreicht, als das kleine Landhaus in Sicht kam. Der Anblick der Geier,
die darüber ihre Kreise zogen, der Gestank verrottenden
Menschenfleisches, der ihm in die Nase stieg, als er näher kam, töteten
jede Hoffnung, die er während seiner Reise noch gehegt hatte, im Keim
ab. Und doch, als er sich beim Eintreten ins Haus niederbeugte und
Dutzende verstümmelter Leichen, die dort auf dem Boden lagen, mit dem
Gesicht nach oben drehte, als er gegen jede Vernunft überlegte, wenn er
seinen Vater, Natan und seine Mutter hier nicht entdeckte, hätten die
drei vielleicht wirklich einen Beschützer gefunden … Während
er sich einen Weg durch die Toten bahnte, wußte er schon, daß das nicht
so gewesen sein konnte. Hai ibn Yatom hätte niemals die Verwundeten im
Stich gelassen, die hilfesuchend zu seinem Haus gekrochen und gehumpelt
waren, und Dalitha wäre niemals von ihm fortgegangen. Als Amram seinen
Vater schließlich fand, erkannte er aus der Lage der Leiche, daß man
ihn ermordet hatte, während er gerade kniete, um einen Patienten zu
behandeln, dessen Körper von Messerstichen übersät war. Ihm selbst
hatte man ein Schwert in den Rücken gerammt, das ihn, so hoffte Amram,
auf der Stelle getötet hatte. Er war zur Seite gefallen, den Körper
gekrümmt wie ein Ungeborener. Dalitha hatte man zu Boden gestreckt, als
sie ihm zu Hilfe eilte. Wie viele dieser Unmenschen sie vergewaltigt
hatten, ehe sie erdrosselt wurde, konnte er nicht sagen …
    Blindlings stolperte er über die anderen Leichen hinweg und
taumelte aus dem Haus. Benommen vor Schmerz und Grauen, angewidert vom
Gestank des Gemetzels ringsum, erbrach er sich, bis er nichts mehr im
Leib hatte. Dann wischte er sich den kalten Schweiß von der Stirn und
versuchte, des Zitterns Herr zu werden, das ihn am ganzen Leib erfaßt
hatte, suchte ringsum nach einem angemessenen Grab, in dem er die
Leichname seiner Eltern zur letzten Ruhe betten konnte. Wohin er auch
blickte, nichts als Verwüstung. Den Hausgarten, der immer so voller
Leben gewesen war, hatten die Horden zertrampelt, den Gemüsegarten
völlig ausgeräumt, die Obstbäume ihrer Zweige beraubt, die zarten
Weinschößlinge in wilder Zerstörungswut niedergemacht. Die
Aloepflanzung hatte man mit dem Schwert zerhackt, die breiten
fleischigen Blätter in Stücke geschnitten und am Boden unter den leeren
Strünken der Fäulnis überlassen. Amram stand da, betäubt von der
sinnlosen, wilden Grausamkeit der Berber, als er hinter sich Schritte
hörte, die zögernd vom Haus näher kamen. Noch ein verzweifelter
Patient, dachte er, als er sich zum Haus umwandte. Es dauerte einen
Augenblick, ehe er in der gespenstischen Gestalt, die auf ihn zugewankt
kam, seinen Bruder erkannte.
    Wortlos legte Amram seinen stützenden Arm um Natans Schulter,
und zusammen machten sie sich mit unsicheren Schritten auf den Weg zum
Gärtnerschuppen. Dort setzten sie sich auf

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