Dieb meines Herzens
heute Abend aber waren die Fenster dunkel.
Leona stand mit Thaddeus im rückwärtigen Teil des ausgedehnten Gartens am Tor. Anspannung, Erregung und ein
Anflug von Furcht durchzitterten sie. Dennoch bemühte sie sich nach Kräften, ihre Gefühle vor Thaddeus zu verbergen. Es bedurfte nur wenig, dass er seine Meinung änderte und ihr verbot, ihn ins Haus zu begleiten.
»Detective Spellar hatte recht«, sagte sie. »Das Haus scheint verlassen.«
»Die Tatsache, dass Personal und Hausherr verschwunden sind, lässt darauf schließen, dass Delbridge eine längere Abwesenheit plant«, sagte Thaddeus. »Er könnte in seinem Jagdhaus in Schottland Zuflucht suchen.«
»Schottland.« Sie war entsetzt. »Wie soll ich dort jemals den Kristall finden?«
»Der Arm der Arcane Society reicht weit«, meinte Thaddeus darauf. Es klang, als müsse er ein Lachen unterdrücken.
Sie schob ihr Kinn vor. »Ich muss dich daran erinnern, dass der Kristall mir und nicht der Society gehört.«
»Und ich möchte dich daran erinnern, dass wir übereinkamen, die Besitzfrage erst zu diskutieren, wenn wir den verdammten Stein in Händen haben. Bist du bereit?«
»Ja.«
Thaddeus trug heute Abend seine gewohnte schwarze Kleidung. Auch sie war bereits für die mitternächtliche Arbeit angezogen. Zusätzlich zu Dienerjacke und -hose, die Adam ihr für die erste Expedition in Delbridges Haus besorgt hatte, hatte Thaddeus ihr eines seiner dunklen Leinenhemden geborgt.
Natürlich war ihr das Hemd viel zu groß. Sie hatte es zwar geschafft, das überschüssige Material in die Hose zu stopfen, doch erweckte der Rest unter der knapp sitzenden Jacke einen entschieden umfangreichen Eindruck. Sie fühlte sich wie ein pralles Stofftier und argwöhnte, dass sie auch so aussah.
»Wir werden durch ein Fenster der Bibliothek eindringen«, kündigte Thaddeus an.
»Was ist, wenn er dort eine seiner garstigen kleinen Giftfallen aufgestellt hat?«, fragte sie.
»Das halte ich für unwahrscheinlich. Er muss das Haus in großer Eile verlassen haben. Für das Einrichten ausgeklügelter Fallen war keine Zeit. Warum hätte er es auch tun sollen? Er hat den Kristall sicher mit sich genommen.«
»Ja, ich weiß«, sagte sie düster. »Bis nach Schottland.«
»Wo bleibt die hochgerühmte und so irritierende Eigenschaft des positiven Denkens?«
Sie entschied sich, dies zu ignorieren.
Sie bahnten sich einen Weg durch den ungepflegten, verwilderten Garten. Trotz Thaddeus’ Überzeugung, dass Delbridge keine Fallen eingerichtet hatte, achteten sie darauf, Nasen und Münder mit dichtem Stoff abzudecken, als er daranging, mit seinem Nachschlüssel das Fensterschloss zu öffnen.
Im Handumdrehen befanden sie sich in der Bibliothek. Die Draperien waren dicht zugezogen und hüllten den Raum in völlige Dunkelheit. Eine verstörende Energie regte sich in der Atmosphäre. Thaddeus zündete die mitgebrachte Laterne an. Ihr gelber Schein fiel auf eine Anordnung von sonderbaren, im ganzen Raum verstreuten alten Gegenständen. Leona wusste, dass diese Dinge paranormale Kraft in kleinen Dosierungen verströmten.
»Hier bewahrt er auf, was er vermutlich für seine weniger wertvollen Objekte hält«, sagte Thaddeus. »Sie sind es nicht wert, in dem Museum im oberen Stockwerk ausgestellt zu werden.«
Sie fröstelte, wohl wissend, dass das unangenehme Prickeln ihrer Sinne nichts im Vergleich zu dem war, was sie
oben in der Galerie erwartete, die den größten Teil von Delbridges Sammlung beherbergte.
»Er muss Jahre seines Lebens damit zugebracht haben, diese Dinge zu erwerben«, sagte sie.
»Delbridge ist von Antiquitäten mit paranormalen Qualitäten geradezu besessen.« Thaddeus ging an den Schreibtisch, zog ein Schubfach auf und entnahm ihm einige Papiere. »Gibt es Anzeichen vom Kristall?«
Sie drehte sich auf dem Absatz um und öffnete ihre Sinne voll und ganz. Die von den Objekten um sie herum ausgehende Furcht erregende Aura steigerte sich, doch von den eindeutigen Strömungen des Aurora-Steins war keine Spur zu entdecken.
»Nein«, sagte sie.
»Auch hier gibt es keine hilfreichen Informationen.« Thaddeus zog ein anderes Fach auf. »Seit Monaten offene Rechnungen von seinem Schneider und Handschuhmacher und eine Handvoll Einladungen.«
»Mach kein so enttäuschtes Gesicht. Zu erwarten, dass Delbridge die Adresse des Klubs, dem er beizutreten hofft, schriftlich notiert hat, hieße den Optimismus übermäßig beanspruchen.«
»Du hast recht. Aber ich übe mich im
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