Dieb meines Herzens
die große Bibliothek erhellten, wirkte Calebs strenges, mürrisches Gesicht noch grimmiger als sonst. Für Charme oder Umgänglichkeit war er nicht eben bekannt. Konversation und Artigkeiten der feinen Gesellschaft reizten seine Ungeduld, da er die Ruhe von Labor und Bibliothek vorzog. An diesem Ort voller wissenschaftlicher Apparate aller Art, wo sich auf den Regalen alte und neue Bücher und die Journale und Berichte der Gründer der Arcane Society drängten, konnte er seine einzigartigen Talente voll entfalten.
Caleb besaß die übersinnliche Gabe, Ordnung und Sinn zu entdecken, wo andere nur Chaos sahen.
In der Society wurde zwar gemunkelt, dass er nur ein verrückter Verschwörungstheoretiker ersten Ranges sei und sein Talent in Wahrheit auf geistige Instabilität hindeute.
Thaddeus hatte kein Problem, die ungewöhnlichen Fähigkeiten seines Cousins und die damit verbundene brüske Wesensart zu akzeptieren. Er verstand ihn wie nur wenige. Was verstörende Talente anging, so gab es keine – auch nicht jene Calebs –, die dieselbe beunruhigende Wirkung auf andere ausübten wie seine eigene hypnotische Kraft.
Er wusste sehr wohl, dass die meisten, die von seinem Talent wussten, ihn insgeheim fürchteten. Wer konnte es ihnen verargen? Nur wenige wagten sich in die Nähe eines Menschen, der über eine potenziell schädliche Kraft verfügte. Aus diesem Grund hatte er wie Caleb wenig enge Freunde.
Sein Talent war auch der Grund, warum er zum großen Kummer seiner Familie noch unverheiratet war. Keine Frau seines Bekanntenkreises lockte die Ehe mit einem Mann, der über diese Art Kraft verfügte. Was ihn betraf, so weigerte er sich, die Wahrheit vor einer eventuellen Braut zu verbergen.
Er und Caleb waren Cousins von Gabriel Jones, dem neuen Großmeister der Arcane Society. Alle drei waren Nachfahren des Gründers der Society, des Alchemisten Sylvester Jones. Sylvester hatte ein ausgeprägtes Interesse für jenes Gebiet besessen, das im späteren siebzehnten Jahrhundert als Alchemie bezeichnet wurde.
Zuweilen fragte sich Thaddeus, ob Sylvester, hätte er später gelebt, als großer Wissenschaftler gegolten hätte. Eines stand freilich fest: Auf welchem Gebiet auch immer er brilliert hätte, ein Exzentriker wäre er in jedem Fall gewesen.
Neben seinen ausgeprägten paranormalen Fähigkeiten war er paranoid, eigenbrötlerisch und von seinen Forschungen geradezu besessen. Diese Besessenheit hatte ihn auf einen höchst gefährlichen Weg geführt.
Alle diese Eigenschaften hatten ihn nicht daran gehindert, zwei Söhne mit zwei ebenso übersinnlich begabten Frauen in die Welt zu setzen. Nun waren es weder Lust noch Liebe, die Sylvester bewogen hatten, Nachwuchs zu produzieren. Aus seinen Aufzeichnungen ging hervor, dass seine Neugierde ihn dazu getrieben hatte. Er wollte sehen, ob seine Fähigkeiten an seine Nachkommen weitervererbt würden.
Sylvesters Experiment war Erfolg beschieden, freilich nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. So hatte er die Vielfalt an Talenten, mit denen seine Nachfahren ausgestattet waren, nicht vorausgesehen, da er in seiner Überheblichkeit erwartet hatte, alle würden seinen paranormalen alchemistischen Spürsinn erben.
Im Laufe zweier Jahrhunderte trat zweierlei zutage: Die pure Kraft an sich wurde zwar häufig vererbt, doch waren die besonderen Ausformungen dieser Gabe nicht vorhersehbar.
Die zweite Erkenntnis freilich war ein Schock gewesen, wie der hochmütige Alchemist in seinen Aufzeichnungen zugeben musste. Die talentierten Frauen, die er für die Experimente als Partnerinnen ausersehen hatte, waren für die Resultate ebenso bedeutsam wie er selbst. Sylvester entdeckte zu seinem Entsetzen, dass die Mütter seiner Kinder den künftigen Generationen der Jones ihre eigenen übersinnlichen Fähigkeiten weitervererbt hatten.
»Ich glaube nicht, dass Leona so einfach auf ihren Anspruch auf den Kristall verzichten wird«, warnte Thaddeus.
»Biete ihr Geld an«, sagte Caleb. »Viel Geld. Meiner Erfahrung nach wirkt das immer.«
Thaddeus dachte daran, wie Leonas Augen vor weiblicher Glut, die man nur als Leidenschaft bezeichnen konnte, geleuchtet hatten, als sie ihre Kraft durch den Aurora-Stein leitete. Die Arbeit mit dem Kristall hatte sie auf eine Weise erregt wie eine andere Frau das Verlangen. Die Erinnerungen brachten sein Blut in Wallung. Tief in seinem Inneren regte sich etwas.
»Ich würde nicht damit rechnen, dass Geld diesmal das gewünschte Ergebnis zeitigt«,
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