Dieb meines Herzens
sagte er.
»Dann musst du einen anderen Weg finden, um den Kristall von ihr zu bekommen«, sagte Caleb klipp und klar. »Es ist das erste Mal seit über vierzig Jahren, dass er auftaucht. Gabe möchte ihn möglichst schnell im Besitz der Society sehen. Sollte er wie letztes Mal wieder verschwinden, könnten Jahrzehnte vergehen, ehe wir wieder von ihm hören.«
»Ich weiß«, sagte Thaddeus geduldig. »Ich sage ja nur, dass die neue Besitzerin ihn vermutlich nicht hergeben wird.«
Der Aurora-Stein besaß innerhalb der Arcane Society eine lange und geheimnisvolle Geschichte. Laut Legende war er von einer Frau aus Sylvesters Labor gestohlen worden, die er Sybil, die jungfräuliche Zauberin, genannt hatte. Von der Frage ihrer Jungfräulichkeit abgesehen, blieb nur die Tatsache, dass es sich bei Sybil um eine Alchemistin und Konkurrentin handelte. Der Gründer hatte Konkurrenz nicht vertragen; eine Frau als Rivalin hatte ihn vollends erbittert. In seinem Tagebuch hatte er es konsequent vermieden, Sybil mit dem Titel Alchemistin zu ehren, und hatte sie stattdessen als Zauberin bezeichnet, um ihre Talente und ihre Fähigkeiten im Labor herabzusetzen und lächerlich zu machen.
Der alte Griesgram mochte ja brillant gewesen sein, dachte Thaddeus, aber von moderner Denkweise weit entfernt.
»Wenn es mit Geld nicht klappen sollte, musst du einen
anderen Weg finden, um den Stein zu bekommen«, sagte Caleb. »Dank deines speziellen Talents dürfte das meiner Meinung nach nicht allzu schwierig sein. Verdammt, du könntest die Frau hypnotisieren, damit sie dir den Kristall überlässt, und dann könntest du sie vergessen lassen, dass sie ihn je besaß. Ich verstehe nicht, warum du noch zögerst.«
»Sie ist gegen mein Talent immun.«
Caleb stutzte. In seinen Augen glomm sachliche wissenschaftliche Neugierde auf.
»Ach … sehr interessant.«
Warum zögere ich, fragte Thaddeus sich. Er musste Leona den Kristall unbedingt wegnehmen. Das wusste er bereits. Dennoch ertappte er sich dabei, dass er sich bemüßigt fühlte, ihren Anspruch auf den Stein zu rechtfertigen.
Er schlenderte zu einer Bank in der Nähe, um ein Prisma zu untersuchen. »Glaubst du wirklich, dass der Kristall ein ähnlich dunkles, gefährliches Geheimnis ist wie die Formel des Gründers? Dafür sah ich gestern nämlich keinen Beweis. Seine Kraft scheint heilender und nicht zerstörender Natur zu sein.«
Caleb verschränkte die Arme und überlegte ernsthaft. »Ich gebe ja zu, dass das Kraftpotential des Kristalls nicht so gefährlich ist wie jenes der Formel, wenn sie in falsche Hände gerät. Dies dürfte meiner Meinung nach vor allem darauf zurückzuführen sein, dass die Gabe, den Kristall zu beherrschen, sehr selten ist.« Thaddeus beobachtete, wie das durch das Prisma einfallende Licht zerstreut und wieder zu einem blendenden Regenbogen gebündelt wurde. »Leona konnte ihn gestern gut handhaben. Das muss wohl bedeuten, dass sie diese seltene Gabe besitzt.«
Caleb runzelte die Stirn. »Bist du sicher, dass sie Gewalt über den Kristall hat? Du sagtest ja selbst, dass du Halluzinationen
hattest. Vielleicht gaukelten sie dir nur vor, dass sie Kraft durch den Stein fließen ließ.«
Thaddeus blickte vom Prisma auf. »Die Kraft, die sie ausstrahlte, war echt. Noch nie sah ich ein Kristallmedium das tun, was sie gestern machte.«
Caleb brummte vor sich hin. »Die meisten Kristallmedien sind Betrüger. In London wimmelt es vor Scharlatanen, die behaupten, Kristallenergie nutzbar machen zu können. Sie treten fast so zahlreich auf wie jene Medien, die angeblich Kontakt zur Geisterwelt aufnehmen. Bedauerlicherweise muss man sagen, dass sich sogar Mitglieder der Arcane Society täuschen ließen. Man denke an den berüchtigten Dr. Pipewell und seine Nichte, von der er behauptete, sie könne mit Kristallen arbeiten.«
»Das werde ich nie vergessen«, sagte Thaddeus trocken. »Seit Pipewell mit dem Geld der Investoren verschwand, sind zwei Jahre vergangen, und mein Onkel schäumt jetzt noch vor Wut über den Betrug und seinen Verlust.«
»Auch die anderen reichen Mitglieder der Society, die sich von Pipewells Versprechungen goldener Berge blenden ließen, haben es nicht verwunden.«
»Und was ist mit der Nichte?«
Caleb zuckte mit den Schultern. »Sie verschwand etwa zur gleichen Zeit. Vermutlich lassen die beiden es sich mittlerweile in Paris, New York oder San Francisco recht gut gehen. Ich behaupte, dass die meisten angeblichen Kristallmedien in Wahrheit
Weitere Kostenlose Bücher