Diebesgeflüster - Band 3
niemals. Sie war skeptisch, stellte Fragen, aber beschweren tat sie sich nie.
Ich fragte mich, woher sie kam und was sie getan hatte, bevor Fabrizio sie gefunden hatte, aber sie war vor mir in dieser Bande gewesen und deswegen würde ich es niemals erfahren. Niemand von uns sprach über seine Vergangenheit – wir versuchten, dieses Geheimnis für uns zu behalten. So wie ich meine Schwester um jeden Preis geheim halten wollte. Vielleicht wollten wir auch niemandem von unserer Vergangenheit erzählen, weil wir uns nicht daran erinnern wollten.
Mit einem Wink ihrer Hand zeigte Elisa, dass wieder jemand durch die Gänge marschierte. Ich wusste nicht mehr, wie lange wir bereits durch dieses unterirdische Gangsystem irrten. Mein Zeitgefühl war verloren gegangen. Anscheinend nutzten jedoch viele Römer die Tunnel als willkommene Abkürzung.
Laut Adas Karte, die Fabrizio mir gezeigt hatte, gab es mindestens einhundert Ausgänge. Ada hatte zwar nur den Weg zum Heiligen Gral eingezeichnet, doch kleine Kreise, die auf dem gesamten Pergament verteilt gewesen waren, deuteten auf einen Ausweg aus dem Labyrinth hin. Wenn man nicht gerade, wie wir, von außerhalb der Stadt kam, konnte man innerhalb von wenigen Minuten von einem Stadtteil in einen anderen gelangen.
»Halt!«, rief jemand.
Erschrocken sahen wir uns an. Adalgisos Gesicht verlor augenblicklich jegliche Farbe, die es an diesem Abend besessen hatte. Fabrizio blickte mich an. Ich wusste Bescheid.
Ich drängte mich an meinen Freunden vorbei zu dem Mann, der vor uns stand. Seine lange Nase hatte sicherlich unsere Fackeln gerochen, die ihn zu uns geführt hatten.
»Was treibt ihr hier unten?«, meckerte der Fremde. Seine Stimme war laut und hallte donnernd durch die Tunnel. Mit einem schnellen Blick musterte ich ihn. Er trug eine Kutte, die auf ein christliches Amt hinwies. An seinem Gürtel hing ein kleiner Beutel, der von seinem Inhalt schwer zu Boden gezogen wurde.
»Wir … wir haben uns verlaufen, Monsignore«, stotterte ich mit gespielter Hilflosigkeit.
Die Miene des Fremden wurde augenblicklich weich, doch in seinen Augen blitzte das Misstrauen wie spitze Pfeile.
»Wir befanden uns in dem Kloster unserer Brüder und suchten nach einem Schlafplatz. Als wir eine Türe öffneten, standen wir plötzlich in diesem seltsamen Gewölbe, das nie zu enden scheint«, fuhr ich fort, bevor er eine Frage stellen konnte. »Wir laufen nun schon seit mehreren Stunden durch die Tunnel und finden kein Tageslicht.«
»Es ist bereits Nacht«, benachrichtigte mich der Mann.
»Nacht? Ich befürchtete, wir hätten bereits das Morgengebet verpasst«, setzte ich hinzu.
»Soll ich euch denn hinaus führen, um euer Leiden zu mindern?«
»Nein, ich denke, das wird nicht nötig sein. Eben ist eine Schwester zu uns gestoßen – Schwester Elisabeth. Sie hat uns ihre Hilfe angeboten.«
Elisa trat zu mir. »Ich werde sie hinausgeleiten, Monsignore.«
Der Mann stellte sich auf die Zehenspitzen, um unsere Gesichter zu inspizieren. Plötzlich wurden seine Augen schmal. »Was ist das für ein Mädchen und dieser Mann dort? Gehören die zu euch?«
Fluchend drehte ich mich kurz zu Ada und Nuccio um, die als einziges keine Benediktinerkutten trugen. Jetzt wurde es Zeit, meine Gabe einzusetzen. Ich musste lügen. Ich musste Lügen verbreiten, die der Mann ohne zu zögern glauben würde. Er musste all das vergessen, was ich bisher gesagt hatte. Das war leicht, denn er würde nur das glauben, was er jetzt hörte. Er musste es glauben, auch wenn er tief im Innern die Wahrheit kannte.
Ich winkte ihn näher herbei. So nahe, bis ich ihm ins Ohr flüstern konnte. »Vergesst, was ich Euch bisher gesagt habe! Die zwei Personen sollen von Satan besessen sein. Wir bringen sie zum Papst. Er möchte ihnen den Teufel höchstpersönlich austreiben. Er erwartet uns bereits.«
Während ich sprach, packte Elisa Ada am Arm. Adalgiso hielt Nuccio fest. Fabrizio zielte mit seiner Armbrust auf Nuccio.
»Der Satan?« Das war keine Frage des Misstrauens. Das war pures Erstaunen. Er starrte Ada mit weit geöffneten Augen an. Diese blickte abwesend zurück. Ihre Lippen bewegten sich, als spräche sie mit sich selbst. Sie war perfekt für diese Rolle.
»Ich sehe es. Sie ist besessen«, nuschelte der Mann.
»So lasst uns schnell durch und verschwindet aus diesem Tunnel! Der Satan wird uns nicht anfallen. Gott schützt uns auf dem Weg zum Papst, doch eilt, damit der Teufel nicht auch noch Euch zu seinem Sklaven
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