Diebesgeflüster - Band 3
Mundvoll Brot und Fleisch blieb Tebby prompt in der Kehle stecken. Mit bloßen Händen hielt sie noch den Entenschlegel und starrte den Gastgeber fassungslos an.
»Bitte tu jetzt weder erschrocken noch unschuldig. Solches Gehabe verabscheue ich. Ich bilde mir ein, dass du im Kerker ganz genau gewusst hast, warum du da auf nassen Steinen gelegen hast. Du bist der beste Räuber, der mir in meiner Regierungszeit untergekommen ist.«
»Aber ich wurde erwischt«, murmelte Tebby an Fleisch, Brot und Sauce vorbei. Die Masse schien sich in ihrem Mund in gefrorenes Regenwasser zu verwandeln.
»Ja, natürlich. Weil ich es so wollte. Nicht jeder Großfürst hat einen Werwolf unter seinem Kommando. Ohne die besonderen Fähigkeiten dieses Mannes wäre es mir vielleicht nicht ganz so mühelos möglich gewesen, dich dingfest zu machen.« Er schüttelte den Kopf, die ebenmäßige Miene spiegelte Abscheu wider. »Und sprich nicht mit vollem Mund. Trink etwas, kaue und schlucke, bevor du das Wort erneut an mich richtest.«
Der Diener Javin stand wieder neben Tebbys Stuhl, als wäre der Kerl dort nie weggegangen. Scheinbar fürsorglich rückte er das Wasserglas näher.
Der Fürst lehnte sich zurück, stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte, legte die Hände flach aneinander und tippte mit dem Kinn gegen die Finger. »Du fragst dich, warum ich dir nicht einfach die Hände habe abhacken lassen. Oder dir die Schlangengrube oder Folter erspart habe. Gute Frage. Die Antwort darauf lautet, dass ich dich brauche. Du wirst etwas für mich stehlen. Es wird nicht ganz leicht, aber deswegen habe ich ja auch den Besten in Gewahrsam genommen.«
Tebby schluckte den Mundvoll mit Gewalt durch eine Speiseröhre hinab, die den Bissen nur unwillig passieren ließ. »Was soll ich stehlen?«, fragte sie bang.
Ihr Gastgeber lächelte und beugte sich vor. »Das Heeresbanner von Tespins Hald, Tebby. Bring es mir, verhindere einen blutigen und sinnlosen Krieg, und ich schenke dir die Freiheit.«
»Als ob ein buntes Tuch einen Krieg verhindern könnte, nur weil du es besitzt.«
»Aberglaube kann sehr mächtig sein, Tebby. Ich erwähne einen Werwolf, und du zitterst. Aber Werwölfe gibt es tatsächlich und nicht nur in abendlichen Geschichten, um kleine Kinder zu erschrecken. Die Bewohner und Krieger von Tespins Hald sind überzeugt, dass die Seele ihres ersten Königs in diesem Banner ruht und sie deswegen unfehlbar zu einem Sieg führen würde. Es wird gut bewacht, aber das sollte ja kein Problem für dich darstellen.«
Tebby starrte den Großfürsten einen Moment lang an, dann lachte sie unsicher. »Ich glaube, es wäre besser, wenn du mir die Hände abhacken lässt.«
»Leichter vielleicht. Aber ich habe nicht um deine Meinung gebeten. Javin wird dich begleiten und dir zur Seite stehen. Bring mir das Banner, Tebby. Und vergiss nicht, dass ich alles über dich weiß.«
Alles … Tebby fühlte die Nahrung in ihrem Magen zu heißer Asche werden. Was wusste der Großfürst wirklich?
Das Lächeln wurde breiter, gewann eine Kraft, die erschreckend war und Tebbys Kehle vollkommen zuschnürte. »Zwei jüngere Brüder, Tebby, die gerade jetzt in einem gemütlichen Zimmer untergebracht sind. Warme, saubere Bettwäsche, drei Mahlzeiten täglich, buntes Spielzeug, wie sie es noch nie kannten. Niedliche Kerlchen. Bring mir das Banner, Tebby, und die beiden Kleinen gehen unbeschadet mit ihrer großen Schwester.«
Tebby riss den Kopf hoch. Hitze stieg ihr in die Wangen, lähmte sie regelrecht.
Der Großfürst lächelte. »Wie gesagt: ein Werwolf. Er kann die Unterschiede wittern. Schön immerhin, dass du es nicht abstreitest. Das wäre ermüdend. Ihr bekommt ein Haus auf dem Land, denn diese Stadt ist kein Ort für kleine Jungen. Ein Haus und genügend Gold. Starr mich nicht so entsetzt an. Du wusstest, in wessen Stadt du reiche Kaufleute und dumme Adlige bestohlen hast. Du brichst nach einem großzügigen Abendessen auf. Selten sah ich jemanden, auf den die Bezeichnung Hungerleider besser passt als auf dich. Ein Wagen, frische Kleidung, alle Ausrüstung, die du brauchen könntest. Javin kennt die Wege, dich ungesehen nach Tespins Hald zu bringen. Dort wirst du beweisen können, was in dir steckt.«
»Warum ich? Du hast doch einen Werwolf!«, schnappte Tebby.
Er sah in sein Weinglas, dessen Stiel er träge zwischen langen Fingern drehte. »Mein Werwolf kann diese Aufgabe leider nicht bewältigen. Sonst wäre er tatsächlich meine erste Wahl
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