Diebin der Nacht
dass nur ich davon wüsste.«
»Ja. Aber siehst du, Rose, Rafe will dieses Diadem unbedingt haben. Er hat mir gesagt, dass, wenn ich es ihm nicht besorge ... nun, es reicht wohl, wenn ich sage, dass es mich teuer zu stehen kommen würde.«
»Und das sagt der Mann, der dich heiraten will?«
Mystere runzelte die Stirn, und Traurigkeit überkam sie. »Rose, das ist alles sehr kompliziert. Du darfst es niemandem gegenüber erwähnen, aber - verstehst du, Rafe hat mich nicht gebeten, seine Frau zu werden. Mrs. Astor übt Druck auf ihn aus, indem sie ihm mit finanziellem Ruin droht.«
»Oh, gütiger Gott«, flüsterte Rose. »Darum also weinst du, du armes Ding.«
»Ja, ich weiß, dass ich eine Menge von dir verlange, aber ich befinde mich in einer fürchterlichen Klemme. Kannst du ... weißt du, wo Paul den Schlüssel zu seinem Tresor aufbewahrt?«
Rose erbleichte angesichts dessen, was von ihr verlangt wurde. Trotzdem jedoch fühlte sie mit Mystere, die sie immer wie eine große Schwester behandelt hatte und nicht wie eine untergeordnete Dienerin, wie die anderen das taten.
»Du weißt, Mystere, dass er eine Stinkwut kriegen wird, wenn er es vermisst.«
»Ja, aber mach dir deswegen keine Sorgen, ich werde mich dazu bekennen, sobald er es bemerkt.«
»Es ist nicht nur der Wert - er wird außer sich sein, dass jemand in seinem Tresor herumgeschnüffelt hat. Du kennst ja seine Reden über Loyalität.«
Mystere nickte. »Ich weiß. Aber ich muss mich auf seine neuerlich gute Laune verlassen, in die ihn die Ankündigung der Verlobung versetzt hat.«
Rose wurde ein wenig fröhlicher. »Ja, da ist was dran. Er will es sich nicht mit dir verderben. Nun ... ich glaube, ich weiß, wo er einen der Schlüssel aufbewahrt. Hast du jemals seine alte, ramponierte Reisetasche gesehen?«
»Die grüne mit den rostigen Messingverschlüssen?«
»Genau die. Ich habe ihn einmal dabei beobachtet, wie er einen Schlüssel aus einem braunen Umschlag genommen hat, den er in dieser Tasche aufbewahrt. Die Tasche selbst ist irgendwo unter seinem Bett, falls er sie nicht inzwischen woanders hingeräumt hat.«
Nun, da sie sich verpflichtet hatte, ihr zu helfen, war Rose ganz eifrig bei der Sache. Sie stand auf und glättete ihren Baumwollrock. »Dies ist ein guter Zeitpunkt, meine Liebe. Evan und Baylis sind in die Schenke gegangen, und Hush ist wer weiß wo hin. Ich habe Paul im Salon zurückgelassen, als er gerade dabei war, Briefe zu schreiben. Ich werde nach unten zurückgehen und ihn ablenken. Und nun beeil dich.«
»Ich danke dir, Rose«, sagte Mystere und umarmte sie erneut.
»Beeil dich«, wiederholte Rose und verließ den Raum.
Nun, da der Zeitpunkt zum Handeln gekommen war, verspürte Mystere nervöse Erregung in ihrem Magen. Sie eilte nach draußen in den langen Korridor, der zu Pauls Quartier im gegenüberliegenden Flügel des Hauses führte.
Ein paar Sekunden lang zögerte sie vor der Tür seines Schlafzimmers und versuchte, irgendwelche Geräusche neben dem ohrenbetäubenden Tosen ihres Pulses in ihren Ohren zu hören. Die Angeln quietschten, als sie die Tür öffnete, und obwohl niemand außer ihr auch nur im Entferntesten nahe genug war, dies zu hören, so zuckte sie doch bei diesem Geräusch zusammen.
In dem großen Raum war es beinahe dunkel, denn Paul war eine menschliche Fledermaus, er hasste das Sonnenlicht. Gardinen aus schwerem Stoff bedeckten beide Fenster. Sie schaltete das neu installierte elektrische Licht an und konnte so ein Bett aus Nussbaumholz mit einem Baldachin sowie einen dreitürigen, geschnitzten Kleiderschrank aus Nussbaumholz erkennen, an dessen mittlerer Tür ein Spiegel mit schräg geschliffenen Kanten angebracht war. Der alte Gauner war trotz seines Alters noch eitel - ein zweiter Spiegel, ein französischer Empirespiegel mit vergoldetem Rahmen hing an der Wand zu ihrer Linken.
Sie li ef schnell zum Bett hinüber, bückte sich und entdeckte sofort die ramponierte, alte Reisetasche. Mystere zog sie hervor und ließ die Verschlüsse aufschnappen, was ein Durcheinander von alten Briefen, Zeitungsausschnitten und Fotos - zum größten Teil aus Pauls früheren Tagen in New Orleans - zum Vorschein brachte. Beinahe sofort fand sie den kleinen Umschlag, den Rose erwähnt hatte - und darin steckte in der Tat auch ein Messingschlüssel.
Der Tresor befand sich in der Rückwand des Zimmers, hinter einem Gemälde verborgen. Mit zitternden Händen nahm sie das Bild ab und stellte es beiseite, während sie
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