Diener der Finsternis
und ich mache mir schreckliche Sorgen. De Richleau hat euch noch nicht alles erzählt. In die Sache ist auch ein Mädchen verwickelt, die mir – nun, die mir sehr nahesteht.«
»Rex!« Marie Lou legte ihre kleine, feste Hand auf seinen Arm. »Wie furchtbar für dich! Komm mit in mein Wohnzimmer und erzähl mir alles.«
Eine halbe Stunde lang erzählte Rex der mitfühlenden Marie Lou von Tanith und berichtete auch noch weitere Einzelheiten über ihre Erlebnisse in der Walpurgisnacht. Gerade begann er mit angstvollen Überlegungen, was Tanith geschehen sein könne, als Malin, der Butler, leise die Tür öffnete.
»Jemand verlangt Sie am Telefon zu sprechen, Mr. van Ryn, Sir«, verkündete er.
»Mich?« Rex sprang auf, entschuldigte sich bei Marie Lou und eilte hinaus. Wer mochte das sein? Es wußte doch niemand, wo er war! Er wurde bald darüber aufgeklärt. Eine Stimme, die sehr an die von Marlene Dietrich erinnerte, drang aus dem Hörer.
»Rex, sind Sie das? Oh, bin ich froh, daß ich Sie gefunden habe! Ich muß Sie sofort sprechen. Bitte, kommen Sie schnell.«
»Tanith!« rief er aus. »Woher wissen Sie, daß ich hier bin?«
»Das ist jetzt Nebensache. Ich werde Ihnen alles erzählen, wenn Sie bei mir sind. Aber beeilen Sie sich – bitte!«
»Wo stecken Sie denn?«
»Im Dorfwirtshaus, nicht weiter als eine Meile von Ihnen entfernt. Kommen Sie sofort. Es ist sehr dringend.«
Für eine Sekunde zögerte Rex, aber nur für eine Sekunde. In der Obhut Richards und Marie Lous war Simon sicher genug, und Tanith schien zu Tode geängstigt zu sein. Er hatte sich um sie gesorgt, seit sie mit dem Rolls-Royce des Herzogs davongefahren war. Jetzt wußte er, daß er sie liebte – verzweifelt liebte.
»Gut«, antwortete er. »Ich bin gleich da.«
Atemlos erklärte er Marie Lou, was sich ereignet hatte.
»Natürlich mußt du gehen«, sagte sie ruhig. »Du bist aber vor dem Dunkelwerden zurück, nicht wahr, Rex?«
»Ganz bestimmt.« Die alte Unternehmungslust schien plötzlich in ihn zurückgekehrt zu sein. Mit einem schnellen Grinsen verabschiedete er sich und eilte im Dauerlauf quer über die Wiesen auf dem kürzesten Weg zum Wirtshaus.
Er bemerkte nicht, daß eine fette Gestalt die Zufahrt betrat, gerade als er hinter der Gartenhecke verschwand. Kurz darauf sprach der Neuankömmling mit Malin. Der Butler wußte, daß sein Herr oben bei Mr. Aron war und Befehl gegeben hatte, nicht gestört zu werden. Deshalb ließ er den Besucher in der Halle und betrat Marie Lous Wohnzimmer.
»Ein Herr möchte Sie sprechen, Madam«, meldete er. »Ein Mr. Mocata.«
XXI
Marie Lou sah den Butler zögernd an. Sie hatte in der letzten Stunde über diesen seltsamen und furchteinflößenden Besucher viel gehört, aber sie hatte nicht geglaubt, daß er ihr so bald schon in Fleisch und Blut gegenüberstehen würde.
Im ersten Impuls wollte sie nach Richard schicken. Doch wie viele Leute von ausgesprochen kleinem Wuchs hatte auch sie ein außergewöhnlich schnell arbeitendes Gehirn. Rex und der Herzog waren beide abwesend. Wenn sie Richard holen ließ, war Simon allein, und de Richleau hatte betont, das dürfe nicht geschehen. Zwar hätten sie und Richard den Hauptfeind dann unter Beobachtung, aber er hatte Verbündete. Es schoß Marie Lou durch den Kopf, daß das Mädchen Tanith vielleicht zu ihnen gehörte und Rex absichtlich weggelockt hatte. Andere mochten bereitstehen, Simon zu entführen, während Mocata Richard und sie ablenkte. Nein, Richard durfte Simon nicht verlassen, und daher mußte sie allein mit Mocata reden.
»Führen Sie ihn herein«, wies sie den Butler an. »Aber wenn ich läute, kommen Sie sofort.«
Mocata trat ein, und Marie Lou betrachtete ihn neugierig. Sein kahler Kopf kam ihr wie ein riesiges Ei vor. Über den steifen Kragen wölbten sich die Falten seines Doppelkinns.
»Hoffentlich verzeihen Sie mir, Mrs. Eaton«, begann er, »daß ich, ohne eingeladen worden zu sein, bei Ihnen eindringe. Meinen Namen haben Sie vielleicht schon gehört?«
Marie Lou nickte und übersah seine ausgestreckte Hand. Sie wußte nichts von der Geheimlehre, aber genug von dem bäuerlichen Aberglauben ihrer Heimat, um sich zu hüten, ihn zu berühren oder ihm in ihrem Haus irgendeine Erfrischung anzubieten.
»Das dachte ich mir«, fuhr Mocata fort. »Ich vermag jedoch nicht zu sagen, ob Ihnen die Tatsachen richtig dargestellt wurden. Simon Aron ist ein sehr lieber Freund von mir, und während seiner kürzlichen Krankheit
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