Diener des Boesen
Bewegung seines Körpers… und…«
»Und?«
»Und manchmal sehe ich eine große golden leuchtende Hand«, flüsterte Marie. »Eine wunderschöne goldene Hand. Sie streichelt meinen Leib und verursacht mir solche Lust, dass ich…«
»Genug!«, sagte Jeanne, entsetzt über Maries Worte. Wie konnte sie nur andeuten, dass der heilige Michael …
Jeanne hielt erschrocken inne. Marie hatte gar nichts »angedeutet«. Jeanne hatte selbst ihre Schlüsse aus Maries Worten gezogen. Sie erinnerte sich wieder an das Gefühl, das sie in jener Nacht beim Anblick der schlafenden Marie überkommen hatte, das Gefühl, dass der heilige Michael in der Nähe war…
Nein! Nein! Das konnte nicht sein!
Und dennoch, die goldene Hand…
Nein! Nein!
»Es sind nur Träume«, sagte Jeanne ruhig und ergriff erneut Maries Hände. »Vielleicht haben die Dämonen sie dir eingegeben…«
Ja! Das musste es sein! Vielleicht hatte Katherine Jeannes willensschwacher Gefährtin Albträume geschickt, in der Hoffnung, Jeanne damit zu verwirren.
»… und wir wollen zusammen beten, dass du die Kraft findest, ihnen zu widerstehen.«
Ja, diese Träume waren gewiss das Werk von Katherines Hexerei. So musste es sein.
Marie schien erleichtert. »Ich danke dir, heilige Jungfrau, ich danke dir!«
Katherines Hexerei … ganz sicher.
In dieser Nacht erschien der heilige Michael Jeanne während ihres Gebets. Vorsichtig, weil sie ihn nicht verärgern wollte, erzählte Jeanne dem Erzengel von ihrem Verdacht in Bezug auf Katherine.
Die Dämonen werden dich mit allen möglichen Listen zu täuschen versuchen, Jeanne. Du musst stets auf der Hut sein.
Jeanne wurde von großer Ruhe durchströmt. »Ja, Heiliger.«
Du musst mir vertrauen, Jeanne.
»Oh, Heiliger, das tue ich! Ja, das tue ich!«
Und dennoch hättest du dich von der schrecklichen Tücke der Dämonen beinahe täuschen lassen.
Jeanne ließ den Kopf hängen. »Das wird mir nicht noch einmal passieren, geliebter Erzengel.«
Du bist ein braves Mädchen, Jeanne.
Am nächsten Morgen fragte Jeanne Marie, wie sie geschlafen habe.
Marie lächelte. »Ich habe so fest geschlafen, gesegnete Jungfrau, dass ich mich an nichts mehr erinnere. Ich danke dir für deine Hilfe und Besorgnis.«
Jeanne nahm Maries Gesicht in beide Hände und küsste sie erleichtert.
Kapitel Zehn
Der Donnerstag während der Oktave
der Bekehrung des heiligen Paulus
Im ersten Jahr der Regentschaft Richard II.
(26. Januar 1380)
– I –
Neville befand sich in dem Gemach, das Bolingbroke als Amtsstube diente. Es war einmal ein geräumiges, helles Zimmer gewesen. Doch nun hatten sich dort vom Dielenboden bis zur Stuckdecke Truhen und Aktenschränke mit Stapeln von Schriftstücken, Regale voller Register und Haushaltsbücher, diplomatischer Korrespondenzen, Manuskripte, Landkarten, Navigationskarten, Reiserouten, Bauzeichnungen und Berichte von Baumeistern angesammelt. Sternenkarten gab es und astrologische Voraussagen, medizinische Texte und Diagramme. Dazwischen tauchten drei halbfertige und zwei fertig gebaute Uhren auf, Listen von Lehrmeistern der Akademie von Florenz und ihren jeweiligen Fachgebieten sowie zwei vor kurzem verfasste geisteswissenschaftliche Traktate und ein Kommentar zu Platons Dialogen. Ein Sack mit einer neuen Züchtung von Weizenkörnern, ein stinkendes, öliges Wollvlies, fünf Pakete Gemüsesamen und mehrere Körbe süßer Äpfel und Birnen rundeten das Bild ab.
Bolingbrokes Interessen und Verantwortlichkeiten umfassten buchstäblich jeden Bereich menschlichen Tuns.
Wie an den meisten Tagen, wenn er Bolingbrokes Amtsstube aufräumte, verfluchte Neville auch heute dessen Wissbegierde und befriedigte zugleich seine eigene. Bolingbroke hatte erstaunliche Verbindungen, insbesondere zu der neuen Generation von Gelehrten, den Geistes- und Naturwissenschaftlern und Mathematikern Norditaliens und Deutschlands, und das meiste von dem, was sie Bolingbroke schickten, übte eine starke Faszination auf Neville aus.
Bisweilen jedoch versetzten Neville manche von Bolingbrokes Neuerungen in Erstaunen. So hatte dieser beispielsweise angeordnet, dass alle Haushalts- und Verwaltungsberichte fortan in dem neuen System der arabischen Zahlen verfasst werden sollten, das auch die erst vor kurzem eingeführte Null beinhaltete. Das arabische Zahlensystem war zweifellos einfacher und weniger umständlich als die römischen Ziffern… doch mitunter konnte sich Neville ein spöttisches Lächeln
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