Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
geträumt, ein Titan der Weltliteratur zu werden. Weil ich – so einfach der Grund – nicht nur auf mein eitles, narzisstisches Herz hörte, sondern rechtzeitig meinen Verstand abrief. Der mich sogleich wissen ließ, dass dafür die Talente nicht reichten. Hätte ich meinem »nie irrenden« Herz zugehört, ich säße heute in einer Sozialwohnung und bastelte an Romanen, die niemand lesen will. Dank meines Gehirns – immer inbrünstig verteufelt vom holden Kreis der Herzensmenschen – bin ich da angekommen, wo ich einigermaßen hingehöre. Dabei habe ich, wie überraschend, noch immer »Gefühle«.
Ich will beides behalten, mein Herz und mein Hirn, will mit beidem auf die Welt zugehen, sie denken und analytisch erklären und/oder sie träumen und intuitiv erfassen. Alle meine geistigen und sinnlichen Werkzeuge sind mir willkommen. Das Herz ist nicht »wahrer« als das Hirn. So wenig wie die linke Arschbacke wichtiger ist als die rechte. Einmal brauche ich die eine, einmal die andere, meist beide. Ähnlich mit den zwei »noblen Organen«. Wer sie gegeneinander ausspielt, ist ein Dummkopf. Mir ist jedes Teil an meinem Körper recht, die noblen und die nicht ganz so durchgeistigten, um mit der Komplexität der Welt fertig zu werden.
O .k., die Missverständnisse sind ausgeräumt. Und ich habe inzwischen jene vom Platz geschickt, die als Kind die schönsten Flausen (und vielleicht Talente) im Kopf herumtrugen, aber später nicht bereit waren, die Kopfgeburt zur Welt zu bringen. Oder zu schnell einknickten. Sie wollten das Wunder umsonst. Oder fast umsonst. Sie wurden irgendwann Taxifahrer und lassen seitdem jeden zweiten Fahrgast wissen, dass sie »eigentlich« zu Höherem geboren sind, aber eben kein Glück hatten im Leben. Wer kennt sie nicht, diese Alibi-Athleten. Je cleverer sie sind, desto raffinierter ihre Notlügen. Ich habe keine Ahnung, ob ihre Ausreden gerechtfertigt sind. Ich konstatiere nur.
So bleibt noch die ungeheure Minderheit, jene mit der heiligen Dreifaltigkeit, die a) träumte, die b) ein kreatives Potential mitbekommen hat und die c) bereit war, es zu plündern, sprich, eben so lange danach zu fahnden, bis das Außergewöhnliche zum Vorschein kam.
So sollen, ich wiederhole mich, zwei ewige Wahrheiten für jene gelten, die es schaffen wollen. Wahrheiten, von denen so viele, seltsamerweise, noch nie gehört haben. Numero uno: Ein Talent muss vorhanden sein. Als Geschenk der Natur, des Teufels, des Himmels, von wem auch immer. Für die mittlere Beamtenlaufbahn braucht es keine Gaben, da braucht es Sitzfleisch und den unbeugsamen Willen, nie einen eigenständigen Gedanken zu produzieren. Kein Mensch, sprich Schreiber, wird gut, wirklich gut, ohne nicht schon von Anfang an etwas mitbekommen zu haben. Als Beweis dieser These vielleicht der Hinweis auf eine zukünftige Schönheitskönigin: Läge in ihren Genen nicht schon die Botschaft, dass Augen und Busen und Hintern und die langen Beine einmal atemberaubend gedeihen werden, nie würde aus ihr eine Frau, die eines Tages Millionen (auch Millionen Frauen) den Schlaf raubt. Ist das gerecht? Natürlich nicht. So wenig gerecht wie die Tatsache, dass einer als Mozart auf die Welt kam und ein anderer als Heino das Leben aushalten muss. Ähnlich skandalös hört sich der Unterschied zwischen den Herren Shakespeare und Coelho an. Der Engländer kann so wenig für seine Wunderwaffe, die Sprache, wie der Brasilianer für seine Bonsaiprosa. Den einen liebten die Götter, den anderen bestraften sie. Und uns.
Und die zweite Wahrheit? Noch banaler: eben die Bereitschaft – schon angedeutet –, sich jeden Tag hinzuknien und das Göttergeschenk auszubeuten, genauer, sich auszubeuten. Ich will es mit einer Metapher verdeutlichen: Nehmen wir den dreckigen faustgroßen Klumpen, den ein Arbeiter in einem Diamantenbergwerk findet. Der Klumpen ist der »Rohling«, der ungeschliffene Edelstein, das vielversprechende »Gen«. Aber so, wie er daherkommt – eben klobig und stumpf –, ist er wenig wert. Deshalb muss er zu einem Diamantenschleifer. Und der schleift ihn, bis die Kartoffel blitzt und schimmert, bis das Schmuckstück so aussieht, dass alle es haben wollen. So in etwa sollte ein begabter Schreiber an seine Begabung herangehen, sie schleifen: besessen, schönheitsdurstig, nicht ruhend, bis jeder Satz wie ein kleines Juwel vor ihm liegt. Deshalb sieht ein Schreibtisch wie eine Folterbank aus. Wobei Folterer und Gefolterter eine Person sind.
Schreiben
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