Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
stürze drauflos und finde inwendig zwei spektakulär ondulierte Fotomodelle, die unter der Überschrift »Outfits für Eroberer« geschmackvoll abgestimmte Viskosesocken von Valentino, handgebügelte Hemden von Fiorucci und taillierte Seidenjacketts von Jil Sander vorstellen. Sie stehen mitten im Urwald von Borneo und an ihren Fesseln tragen sie die raffiniert geschnittenen Sandalen von Kenzo. Als Alternative zu den edlen Rindslederstiefeln von Santoni.
Wie wahr: Verzappelte Würstchen betrachten hochgestylte Kleiderständer beim Vorführen aktueller »Abenteuer-Accessoires«. Die intensive Beschäftigung mit erlesen abgestimmtem Zubehör als Ersatz für ein lauwarmes Herz. Der Blick auf schmalzige Schönlinge im »Abenteuer-Look«als Aphrodisiakum für tote Hosen.
In einem anderen bunten Heftchen dürfen wir dabei sein, »wenn Helden reisen«. Der Leser erfährt sogleich die »wichtigsten Geheimtipps, um sich auf abenteuerliche Weise fortzubewegen«, ja, mit angehaltenem Atem erfahren wir, »was tun, um als richtiger Kerl seine eigenen Grenzen kennenzulernen«. Ganz offensichtlich, hier schreiben Hasardeure für Hasardeure.
Erbarmen mit diesen Dünnmännern. Ein Beispiel mag zeigen, wie peinlich der Aufprall ist, wenn die Realität nicht hergibt, was die so fett gedruckten Worte versprechen: »Motorradfahren in China« traut man sich anzubieten. Aber herdenweise, unter Aufsicht, zwei Wochen lang 250 Kilometer pro Tag auf nagelneuen BMW -Maschinen. Und abends ins reservierte First-Class-Bettchen. Das einzig Aufregende an diesem Kinderpopoausflug ist der Preis: über 6300 Euro für ein solches Abenteuerlein.
Ein renommierter Verlag veröffentlicht unter dem Titel »Abenteuerreisen« einen Sammelband. Ich besitze ihn sofort. Das erste Kapitel berichtet von einem Bayern, der ein rollendes Hotel erfunden hat. Weitere neununddreißig Abenteurer dürfen bei ihm mitfahren. Und »hautnah erleben«. Dazwischen deutsche Küche, Vollpension. Weiter hinten im Buch spaziert ein anderer Recke mehrere Stunden lang auf dem ausgelatschten Inka-Trail zum Machu Picchu. Den Höhepunkt liefert ein dritter Gigant, der für zwei Tage im Gefolge seiner Mitstreiter und unter der fürsorglichen Anwesenheit eines deutschen Aufsehers durch den »Dschungel am Äquator« zieht, um die »Eingeborenen in ihren typischen Festgewändern« heimzusuchen. Arme Afrikaner.
Und sie schämen sich nicht. Nicht für das schamlose Ablichten von »Wilden« (doch das ist ein anderes Thema), nicht für den schamlosen Missbrauch eines Worts, das allemal zu wuchtig ist, um die läppischen Spritztouren dieser Sonntagsausflügler zu beschreiben.
Diese monströse Verschwendungssucht von Superlativen, diese eiskalte Hinrichtung eines sagenhaften Worts. Der Daddy-Tourist mit einmal sechzig Minuten freiem Auslauf pro Tag gilt als »Abenteuer-Urlauber«. Das Foto seiner Gattin, den Häuptling umarmend, als Nachweis für die »aufregende Begegnung mit fremden Kulturen«.
Aber es geht noch billiger: ein »shopping adventure« für jeden, der den Weg ins nächste Kaufhaus schafft. Das »Abenteuer-Auto« für jeden, der »mehr will«. Wo andere resigniert in öffentliche Verkehrsmittel flüchten, fordert unser Out-of-Africa-Verschnitt das Schicksal heraus. Mit Vierradantrieb, Tierschutzgitter und Sturzbügel schlägt er sich durch. Vom Wannsee zum Prenzlauer Berg.
Neben dem Zorn über den Raubbau an der Sprache noch ein anderes Gefühl: mitleiden beim Betrachten dieser »Siegertypen«, deren Aufregungen auf dem Millimeterpapier Platz haben. Das unwiderrufliche Bedürfnis, ihnen eine warme Decke überzuwerfen. Damit sie nicht in Tränen ausbrechen, wenn es nieselt und ein Lüftlein zieht.
Ich bin gegen alle Verharmlosung dieses einmaligen Worts. An dem jeder Mehlsack sich heute rotzfrech vergreift. Ich mag ihn nicht, diesen ordinären Nuttengeruch, der heute an ihm klebt. Die neun Buchstaben riechen einfach zu gut, als dass man sie aushielte in der Nähe asthmatischer Sparkassenexistenzen.
»Was ist Glück?«, wurde Freud einmal gefragt. Und der damals Dreiundsiebzigjährige antwortete: »Einen Kindertraum erfüllen.« Die Welt wäre sinnlicher, wenn wir ein paar unserer Träume ins Erwachsenenleben gerettet hätten. Wohl nicht. Dafür haben wir – verdämmernd unter dem Sirenengeheul nach immer mehr Plunder – das 800 Jahre alte Wort abentiure (»Wagnis«) ordentlich zugerichtet. Damit auch Gartenzwerge es aussprechen können, ohne daran zu ersticken.
DIE
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