Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
ungeheuren Worte, dass sie den Fötus nicht hergeben wolle, sie unwiderruflich beschlossen hätte, Mutter zu werden. Natürlich wäre ich bereit gewesen, für alle finanziellen Auslagen der Abtreibung aufzukommen, Flug, Hotel, Klinik. Natürlich hatte ich sie beim letzten Mal – wie alle Male zuvor – ausdrücklich gefragt, ob ich »aufpassen« müsse. Hasste sie doch (nicht ich) jede andere Form der Verhütung. »Nein«, hatte sie gesagt, »rück alles raus.«
Ich werde wohl nie wissen, ob das eine Falle oder ein Rechenfehler war. Eher das zweite, eher eine Fehlkalkulation ihres Knaus-Ogino-Rhythmus’. Laura war ein Triebwesen, lustig, sinnlich, keine Schlampe, die sich ein Kind machen ließ, um abzuzocken. Noch dazu wusste sie von meiner Unlust auf lebenslängliche Zweisamkeit, in der – Gottfried Benn hatte es perfide aufgeschrieben – »von Steuergesetzen begünstigter Geschlechtsverkehr stattfindet«. Nie verpasste ich eine Gelegenheit, in alle vier Windrichtungen über den erotischen Trübsinn in bürgerlichen Betten zu höhnen. Und Laura höhnte mit. So fühlte ich mich sicher.
Ich taumelte. Aus einer federleichten Vögelei sollte – in meiner Panik phantasierte ich sogleich die wildesten Albträume – der biedere Ernst einer sterbensöden germanischen Einehe werden.
Statt cool zu bleiben und eiskalt zu überlegen, wie ich die Wahnsinnige zur Räson bringen könnte, machte ich alles falsch, was man in einer solchen Situation nur falsch machen konnte. Ich schrie, ich drohte, ich tobte, ich wimmerte. Umsonst, nur kindisch. Denn nichts verhalf ihr zur Einsicht, nichts widerrief ihre Unbarmherzigkeit. Im Gegenteil, Laura mobilisierte schon am selben Nachmittag ihre – um keinen schrillen Nagellack weniger extravaganten – Freundinnen. Prompt trafen die ersten Anrufe dieser Nasenringträgerinnen bei mir ein, das einzige Thema: mein »ätzendes Verhalten«. Wie abzusehen, inkarnierte ich umgehend zur Sau, zur »Machosau«, zum »geilen Pimperer«, der endlich anfangen sollte, das Wort »Verantwortung« auswendig zu lernen.
Der Geifer dieser Parzen hatte immerhin einen positiven Nebeneffekt: Er weckte mich endgültig auf. Ich begriff nun tatsächlich die dramatische Lage. Ich sagte alle beruflichen Verpflichtungen ab. Ich musste mich konzentrieren, wenn ich den richtigen (Not-)Ausgang finden wollte.
Am nächsten Tag fiel mir das passende Wort ein, das Lauras Verhalten so umstandslos beschrieb. Leise flüsterte ich es vor mich hin: Vergewaltigung . Hier wurde ein Mann zu einem Kind gezwungen, von dem er nie geträumt hatte. Mir reichten meine eigenen Erfahrungen vom Leben ohne Vaterliebe, ich legte keinen Wert auf mich als Zeuger, der nicht lieben konnte, was er gezeugt hatte.
Der letzte Punkt stimmte, aber er sollte nicht zählen. Das hätte der Geschichte einen Dreh gegeben, der nicht zu ihr passte. Ob mit oder ohne die Erfahrung eines liebenden Vaters: Ich hatte andere Lebensentwürfe im Kopf, als eine Kleinfamilie zu gründen mit einer gerade Volljährigen, die Henry Miller eine mordsbegabte »Fickliesl« genannt hätte, und die – außerhalb des Betts – als Kamikazefrau unterwegs war, augenblicklich damit beschäftigt, auf mein Leben anzulegen.
Und ihr eigenes gleich mitzuversenken. Weit und breit bot ihre Existenz nicht die kleinste Chance, die seelischen (und materiellen) Reserven für die Erziehung eines Kindes zu organisieren. Sie ernährte sich von schnellen Jobs, wechselte ununterbrochen, lebte von einer Nacht in die nächste. Jetzt gehörte sie plötzlich zur Horde jener Halbwüchsigen, die eine Kindsgeburt mit dem Auftauchen einer Boje verwechselten. Ein nagelneuer Mensch musste her, um in der eigenen, chaotischen Existenz nicht abzusaufen. Wir alle drei standen auf dem Spiel, wir alle drei riskierten unsere Zukunft.
Mir schwindelte, Ohnmachtstraumata jagten durch meinen Körper, nachts träumte ich von Rachefeldzügen. Einmal zerrte ich das Weib aufs Schafott, wie von Sinnen schwang ich das Hackebeil. Und wachte schweißgebadet auf: Das Telefon klingelte.
Von der Hinrichtungsstätte holte mich mein Anwalt, den ich am Tag zuvor um Rückruf gebeten hatte. Seine Auskünfte beamten mich wieder zurück in die Hölle: Ich sollte mir nichts einbilden, rechtlich hätte ich nicht die geringste Möglichkeit, Laura zu einem Schwangerschaftsabbruch zu zwingen. Selbst wenn sie mich gezielt getäuscht, mich aus schierer Berechnung als Befruchter und Mann ausgesucht hätte, selbst wenn
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