Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
um Verständnis für die Tatsache, dass ich ihr diese Informationen nicht eher vorgelegt hatte. Aber es wäre, bei Gott, nicht einfach, von der eigenen närrischen Familie zu erzählen. Doch jetzt, wo sie Gefahr liefe, Mutter eines potentiell schwachsinnigen Kindes zu werden, jetzt wäre ich dazu verpflichtet.
Das wurde ein grandioser Sommertag. Keine drei Stunden später klingelte das Telefon, Laura rief an. Meine Briefbombe war offensichtlich angekommen, gehoben verworren klang ihre Stimme. Wenn sich auch ihr punkiger Wortschatz nicht unbedingt geändert hatte: »Das ist ja ein echtes Kettensägenmassaker«, meinte sie, »ich bin bedient, Mann, aber einen bescheuerten Kegel will ich nicht aufziehen.« Mit keiner Silbe zweifelte sie an der Authentizität des Schreibens. Die Maßarbeit saß. Belämmert murmelte ich nochmals ein scheues »Sorry«, schön kleinlaut und bescheiden. Nur jetzt keinen Fehler machen.
Die nächsten 48 Stunden war ich als Lauras Chauffeur unterwegs. Mit einem Leihwagen, da ich eine Schwangere nicht mit meinem Fahrrad befördern wollte. Der Fall war klar, eine »eugenische Indikation« lag vor, mögliche Schäden des Kindes waren zu befürchten. Niemand widersprach, sogar die staatliche Beratungsstelle ersparte uns einen christlich-bigotten Belehrungssums, der zuständige Doktor lächelte und schrieb die Überweisung. Vor einer feinen Klinik lud ich Laura ab, Punkt 13 Uhr. Erst am Krankenbett verabschiedete ich mich, zum letzten Mal das »Schmerzensgeld« bestätigend: Eine Woche italienischer Meeresstrand mit Hotel und Flug, alles für sie allein und alles auf meine Rechnung.
Um 18.15 Uhr rief ich den Chefarzt an: Nichts, meinte er, hätte besser verlaufen können, ein Eingriff ohne Komplikationen, die Patientin würde schlafen. Dankend legte ich auf. Und räumte Tisch und Telefon beiseite, um Platz zu schaffen für einen Veitstanz der schieren Lebensfreude. Es gibt ein paar Momente im Leben eines Menschen, die nur ihm gehören. Das war einer.
Eine halbe Stunde später klingelte der Taxifahrer. Um 22.05 Uhr ging mein Nachtflug. Es wurde Zeit, dass ich wieder anfing zu arbeiten und Geld zu verdienen. Einer Dreiundzwanzigjährigen beim Wiederfinden ihres Verstands zu helfen, hatte sich als kostspielig erwiesen.
O .k., der letzte Satz ist der Satz eines Spießers, ich will ihn nicht mehr aussprechen. Geld, wie belanglos jetzt. War ich doch gerettet. Als der Airbus 300 seine Flughöhe erreicht hatte, bestellte ich einen Martini. Ich suchte in meinem Kopf nach dem Wort, das eine Ahnung vermitteln konnte von dem Glück, das mich überwältigte. Dieses Wort gab es nicht.
Nachspiel: Ein langes Jahr später begegneten wir uns wieder. Reiner Zufall. Ich verließ ein Café, Laura kam gerade. Ich registrierte ein Zucken in meinem Körper, er schien sich vorzubereiten auf das lautstarke Stänkern der Hübschen. Sozusagen als Nachschlag für das entgangene Kind. Ich täuschte mich. Laura hatte wieder diese Silberaugen, diesen langatmigen, lässigen Blick auf einen Mann. Sie nahm mich bei der Hand und führte mich zurück auf meinen Platz. Und wir redeten, das heißt, ich hörte zu und sie beichtete. Beichtete ihre monatelange Wut auf mich und die irgendwann eintreffende Einsicht, dass mein Verhalten – das drängende Abraten – zwar »megauncool«, aber »wahnsinnig richtig« war: dass eben kein Nachwuchs in ihrem Leben Platz gehabt hätte, ja, dass noch Zeit vergehen müsse, bis ihr Chaos aufgeräumt sei und dass ich sowieso der »superfalscheste« Typ gewesen wäre. Als Vater, als Familienvorstand, als Erzeuger.
Die letzten drei Substantive sagte sie ohne Punkt, eher leicht, eher so, als wäre ein Mann noch zu anderen Zwecken verwendbar. Wenn ich mich recht erinnere, war diese kleine Frivolität das einzige Kompliment, das sie mir überließ.
Nun, das wurde ein heilsamer Nachmittag. Nach der Beichte gingen wir zu mir. Vorsichtshalber machte ich einen Umweg über die Toilette des Cafés. Und die »Gefühlsechten« gezogen.
NEUMOND
Herrn K . verdanke ich viel: eine Reihe üppiger Mahlzeiten und ein schönes Mädchen. Er war Gönner und Förderer junger Talente, ein großzügiger, unabhängiger Mensch. Mich mochte er, weil er mich für begabt hielt. Oder umgekehrt. Er hielt mich für begabt, weil er mich mochte. Ich weiß es nicht. Als (meist bankrotter) Student am Mozarteum in Salzburg war ich fraglos dankbar. Seine Abende waren ein Geheimtipp. Sobald das Essen auf der Terrasse offiziell
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