Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
Köpfchen, mit Eleganz ein Problem zu lösen. Draufhauen kann jeder, aber Hirnfunken zünden kann nicht jeder. Ich wollte, nein, ich musste Laura »verlocken«, sie zu dem so menschlichen Gedanken überreden, dass unser aller künftige Befindlichkeit von ihrem Einsehen abhing. Ich brauchte einen Blitz, einen Geistesblitz, um sie zu erleuchten.
Meine Alternativen – sollte kein Blitz kommen – schienen kümmerlich. Die Vaterschaft abstreiten? Kindisch und teuer, irgendwann würde ein Gentest mich überführen. Mich im fernen Ausland verstecken? Nicht machbar, ich hatte einen Beruf, der davon lebte, mit anderen zu kommunizieren. Ihr den Säugling überlassen? Geradezu absurd, denn jede von Laura verabreichte Erziehung würde auf alles vorbereiten, nur nicht auf ein selbstbestimmtes Leben. Und – gar unvorstellbar – mich ergeben? Der Frau, dem Kind, der Kleinfamilie, dieser einfallslosesten ménage à trois , die je erfunden wurde? Dann lieber mit dem Kopf voran im nächsten Baggersee versinken. Wieder einmal bewies mir mein Widerwille dieser Existenzform gegenüber, dass ein solches Karma in meinem Leben nicht vorgesehen war, nicht vorgesehen sein durfte. Andere Unglücke, gerne. Aber das da, das nicht.
Ich unternahm noch einen Versuch und bat Laura zu einem letzten Gespräch. Sie kam und ich stieg hinab in die dunkelsten Tiefen der Selbsterniedrigung. Zuletzt war ich auf Knien und winselte um Erbarmen, berichtete noch einmal von meiner psychischen und physischen Untauglichkeit, mich als Vater aufzuspielen. Schien doch nichts unvereinbarer als permanente professionelle Abwesenheit und das gleichzeitige Einrichten eines stabilen Familienlebens.
Laura hörte weg. Taub und eisig wies sie mein Gnadengesuch zurück. Das Kind musste auf die Welt, nun war das Mutterkuh-Syndrom in ihr ausgebrochen, jede frühere Abmachung war nichtig, jetzt ging sie über Leichen.
Die Auseinandersetzung hatte uns erschöpft, eigenartig still war es geworden, keiner sagte etwas. Bis Laura einen merkwürdigen Satz aussprach: »Werde nicht hysterisch, ich glaube dir kein Wort. Du warst doch früher einmal Schauspieler, du ziehst doch hier nur eine Show ab.«
Mit dieser Bemerkung kam der Blitz, in Bruchteilen eines Nichts erkannte ich seinen sagenhaften Wert. Mit dem wertvollsten Wort im Satz, dem Wort »hysterisch«. Denn es erinnerte mich an eine zähe, zeitintensive Behandlung, die – lange schon – hinter mir lag. Nicht wegen Hysterie, wegen anderer Defizite.
Ich brauchte noch fünf Sekunden, dann stand mein Plan fest. Unser Treffen war zu Ende. Zerknirscht verabschiedete ich mich von Laura, wobei ich andeutete, dass ich ihr in den nächsten Tagen zwei, drei Nachrichten zukommen lassen würde: »Ich wollte dir diese Informationen ersparen«, sagte ich eindrucksvoll zerknittert, »aber dein Verhalten lässt mir keine andere Wahl.« Laura grinste nur abschätzig und verschwand.
Als sie draußen war, brauchte ich nochmals zehn Sekunden, um ein Stück Papier – DIN A4 und schon angegilbt – in meinen Unterlagen zu finden. Eineinhalb Gramm, die mir das Leben retten sollten: Das seriöse Max-Planck-Institut für Psychiatrie hatte mir zwei Jahrzehnte zuvor ein Attest ausgestellt. Um die Krankenkasse zur Zahlung einer Therapie zu veranlassen. Die zwei großartigen Wörter »streng vertraulich« standen am Ende des Befunds und, gleich daneben, die imposanten Unterschriften zweier Professoren.
Der Rest war nur noch Formsache. Da ich wegen Urkundenfälschung schon einmal vorbestraft worden war, wusste ich, wie man ein solches Schriftstück fehlerlos präpariert. Denn meine hier höchstoffiziell notierten Fehlleistungen waren garantiert nicht schwerwiegend genug, um eine gebärversessene Punklady zur Umkehr zu bewegen.
Einen halben Tag und eine Nacht brauchte ich mit Toms Hilfe (noch eine Adresse, die ich mir gemerkt hatte), dann standen auf dem Papier ein paar Zusatzdaten: so furchterregende Auskünfte wie der (angebliche) Selbstmord meines Vaters und die (angebliche) Zwangseinweisung meiner Mutter in eine Nervenheilanstalt. Und als Zauberformel die sieben Buchstaben: »Erblich.« Mit der beeindruckenden Aufforderung, mir eine Vaterschaft genau zu überlegen. Drohte doch die Gefahr, dass meine Nachkommen mit größter Wahrscheinlichkeit der Dementia praecox anheim fallen würden, dem frühen Irresein. Wie meine Eltern.
Um neun Uhr früh ging eine Kopie des Dokuments mit einem Begleitwort per Kurier an Laura. Ich bat sie darin
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