Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
nichts an ihr schien niedergezüchtet von den Maßregelungen ihrer Umgebung. Ich hatte (diskret) über sie recherchiert und herausgefunden, dass sie einen »schlechten Ruf« hatte. Bei den Philistern. Das beruhigte mich.
Noch etwas fiel auf: Nie redete sie vulgär über Sex. Da sie mittels Sprache nichts nachholen musste, was im tatsächlichen Leben nicht stattfand, waren ihr unflätige Reden nicht geläufig. Da Sex sie erfüllte, sie ihn nie irgendeines Unglücks oder einer Schuld verdächtigte, war der Wortschatz, den sie diesbezüglich aktivierte, völlig normal, unaufgeregt, nur praktisch.
Nächste Geschichte: Magda lag in einer Privatklinik, die Gallensteine schmerzten. Ein hübscher Pfleger kümmerte sich um die hübsche Patientin. Nachts pflegte er sie weiter. So laut, dass sich andere Patienten – weniger intensiv versorgt – am nächsten Morgen beim Oberarzt beschwerten. Wieder hatte Magda die Spielregeln der Anständigen überschritten. Auch hinterher, als sie aussagen sollte, wer vom Personal die Krankenhaus-Ordnung so unverzeihlich missachtet hatte. Sie hielt dicht. Und packte die Koffer. Diesmal reichte eine Verwarnung nicht aus, um ihre Lust zu bestrafen. Sie bekam Hausverbot. Sie bereute nichts, natürlich nicht. Sie bestellte ein Taxi und ließ sich die Steine in der nächsten Stadt zertrümmern.
Gute Story. Sie zeigt, wie teuer sie für ihre Sinnlichkeit zu zahlen bereit war. Sie war nicht käuflich, ließ andere nicht für ihre Exzesse zahlen. Auf ihre Weise war sie moralisch, ja, aufrichtig. Auch das machte sie schön und begehrenswert.
Sie widersprach allen Klischees. Weil ihre Sucht sie nicht ruinierte. Im Gegenteil: Der fast tägliche Umgang mit Sex gab ihr Kraft und Ruhe. Sie war eine disziplinierte Arbeiterin, belastbar, pünktlich, eigenverantwortlich. Keinen Tag lebte sie auf Kosten eines Mannes. Der Job einer Simultandolmetscherin forderte. Sie arbeitete gern und viel. Ihr Kopf war so begehrlich wie ihr Geschlecht.
Eines Tages traf sie eine schwerwiegende Entscheidung. Aber sie zögerte und rief mich an, um meine Meinung zu hören. Das wurde ein langes und teures Gespräch, da ich zu diesem Zeitpunkt nicht in Europa lebte. Ihr Vertrauen ehrte mich, denn ihre Idee war spektakulär, geradezu aberwitzig. Ich war einiges gewohnt von ihr, aber jetzt ging sie einen Schritt weiter.
Sie wollte in einem Cabaret arbeiten. Nebenbei, abends, nach der Kopfarbeit. Sie betonte den Satz so anzüglich, dass man nichts falsch verstehen konnte. Das Pink Inn hatte statt einer Bühne fünfzehn sprudelnde Jacuzzis, in deren Mitte (nackte) Hostessen auf (nackte) Klienten warteten. Zur Verabreichung eines wohligen Schaumbads mit anschließendem Ganzkörperanschluss. Da wollte sie mitmachen. Aus schierer Geilheit? Aber sicher. Aus schierer Neugier? Gewiss auch. Irgendetwas lauerte in ihr, irgendetwas trieb sie. Ihre Bereitschaft, außergewöhnliche Zustände auszuprobieren, war heftig und schubweise. Mehrmals hatte ich diese Versuchung zum Risiko an ihr beobachtet. Dass ihre drängende Sinnenlust bei diesen Unternehmungen nicht zu kurz kam, war so wichtig wie die Möglichkeit, etwas Neues zu leben. Alles, was sie wollte, war alles.
Ich kannte sie zu gut, um überrascht zu sein. Selbstverständlich bestärkte ich sie. Ich war gleich lüstern auf die Geschichten, die sie mir erzählen würde. Sie versprach, mich auf dem Laufenden zu halten. Und hielt Wort.
Magda wurde aller Welt Liebling. Der Boss ließ sie von seinem Chauffeur abholen. Sie wurde sein Ass, sie sanierte den Laden. Und die Männer. Magdas Hilfsbereitschaft, ihr Raffinement und ihre Begabung, keinen genitalen Ernst aufkommen zu lassen, sprachen sich herum. Ihr Kundendienst war anders, er war höflich, geduldig, teilhabend. Sie war das Gegenteil einer desinteressierten Schlampe, die missmutig ihre Geschlechtsteile zur Verfügung stellte. Sie war eine Gunstgewerblerin, ein Freudenmädchen, eine Wohltäterin. Sie war vielleicht die einzige Hure, die ihre Bezahlung als Zusatzbelohnung begriff. Zusätzlich zur Lust, die ihr widerfuhr. Ihre Genussfähigkeit war grandios. Diplom-Psychologen würden möglicherweise mit dem Wort »Nymphomanin« nach ihr ausholen. Ach, die Dünnbrettbohrer, die gern die Moralkeule schwingen, wenn die Wirklichkeit sie überfordert.
Nach ihrem ersten halben Jahr im Einsatz kündigte sie an, mich zu besuchen. Sie wollte über einen Vorfall berichten, der ihr vor einiger Zeit widerfahren war. Drei Tage später traf sie
Weitere Kostenlose Bücher