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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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China ist anders. Wir sind zu spät, hieß es. Witzig, wir hatten Angst, zu früh zu kommen. »No, you late«, bellte man uns entgegen. Und dann, unvermeidlich: »Mejou!« Das Lieblingswort der Chinesen. Ein schadenfrohes »Gibt’s nicht«, das jede Diskussion im Keim erstickte. Wie auch immer, die Putzkolonnen waren schon aufmarschiert. Während die letzten Gäste noch ihren Campari tranken, tosten bereits fünf Staubsauger.
    Zurück zum Theater, wo ich mein Fahrrad abgestellt hatte. Wir saßen zu zweit auf, ich trat in die Pedale, Tara balancierte auf der Lenkstange. Schöner Zufall, wir wohnten im selben Hotel, eine bekannte Absteige für Westler. Auf dem langen Weg zum Quiaoyuan Guesthouse roch ich das Haar einer fremden Frau.
    »Mejou!«, bellten sie auch hier. Wir standen an der Rezeption und baten um ein Doppelzimmer. Bisher schlief jeder von uns in seinem dormitory , Männerschlafsaal, Frauenschlafsaal. Dreimal wiederholten wir unseren Wunsch, dreimal Mejou . Beim vierten Mal gab es ein Dreibettzimmer, das billiger war als ein Doppelzimmer. China ist anders.
    Kurz vor Mitternacht wähnten wir uns in Sicherheit. Der Mond leuchtete auf unsere warmen Körper und durch das offene Fenster quakten die Frösche vom nahen Kanal. Momente, in denen alles stimmte. Auch unsere sanften, wispernden Stimmen. Weit weg schienen jetzt die letzten hundert Mejou s und die Ohren zerfetzende Drangsal unglücklicher Opernsängerinnen.
    China ist anders. Ich erinnere mich genau. Der selige Augenblick, in dem Tara und ich uns ganz nahe kamen, entpuppte sich als der Anfang einer barbarischen Geisterstunde. Donnerschläge krachten gegen die Tür. Mit Händen und Füßen knüppelte jemand von draußen gegen das Holz. Gleichzeitig ging das Licht an, ein hässlicher, weißheller Lüster strahlte auf unsere toderschreckten Leiber. Ich drehte mich um und sah am Oberlicht einen Mädchenkopf, der gebannt auf unser Bett starrte. Wobei die Hammerschläge nicht aufhörten. Es mussten also mindestens zwei Barbaren sein, die nun erbarmungslos über uns herfielen.
    Mir schwindelte vor Wut, als ich mich von Tara löste, die bleich nach dem Leintuch griff, um sich zu bedecken. Ich wollte losrennen und ausholen. Aber nach drei Schritten überkam mich die perfide Lust, die Situation aufs Äußerste zu provozieren. Splitternackt und noch immer in unübersehbar sinnlicher Erregung stellte ich mich in die Mitte des Hotelzimmers, sah die Augen der jungen Chinesin, die mich hypnotisiert anglotzten, sah ihr zur Fratze deformiertes Gesicht, sah den angewidert verzogenen Mund.
    Doch ich wollte meinen Auftritt als nackter Mann nicht übertreiben. Auch hörte der infernalische Lärm nicht auf, nicht das tückische Ein- und Ausschalten der gleißenden Lichtquelle. Kurz nach ein Uhr war es jetzt und ich musste etwas unternehmen, um nicht an der eigenen Raserei zu ersticken.
    Ich zog die Hose über und entriegelte das Schloss. An der Uniform erkannte ich sogleich das Zimmermädchen, das für diesen Flur verantwortlich war. Neben ihr der Hausmeister. Augenblicke lang war mein Hass nicht zu bremsen. Eingedenk ihres brutalen Angriffs auf die Menschenwürde vergaß ich kurzzeitig die Grundregeln der Völkerverständigung und stieß die beiden mit roher Heftigkeit von der Tür zurück. Ich holte nochmals aus, als sie einen nächsten Versuch unternahmen, das Zimmer zu betreten. Jetzt blickte der Hausmeister zum ersten Mal in mein Gesicht und begriff, dass ich ihn beim dritten Vorstoß zu Brei schlagen würde.
    Eines wurde sofort klar: Schuld an diesem Skandal trugen wir selbst, unsere Freundlichkeit. Als Tara und ich die Treppen hochgestiegen waren, schlief die Kleine auf ihrem Stuhl. Hier wie auf jedem anderen Hotelflur der »Volksrepublik« saß eine Aufseherin, der Spitzel. Aus Rücksicht hatte ich die vielleicht 18-Jährige nicht geweckt, um ihr die Zimmerrechnung zu zeigen. Ich vergaß für Momente, dass China ein Polizeistaat war, somit jede Annäherung – mit wem auch immer – amtlich genehmigt werden musste.
    So wird es gewesen sein: Irgendwann wachte das Mädchen auf, hörte »verdächtige« Geräusche und holte Verstärkung. Sex in einem nicht bezahlten Bett, so dachte sie wohl, rechtfertigte jedes Mittel, um dagegen einzuschreiten. Und wäre es das hemmungslose Eindringen in die privateste Sphäre anderer. Deshalb das Oberlicht und deshalb der Lichtschalter im Gang, um von außen jeden Tatort ausleuchten zu können. Sofort und ohne den leisesten Gedanken

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