Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
mir dazwischen, »ich, ich allein, habe Macht über diese Frau.«
Jetzt sah ich diese Frau ihr Kleid überstreifen, sah die flehentlichen Blicke des Discjockeys und der Geschäftsführerin. Ich befand mich am Rande eines Lachkrampfs und wusste nicht weiter. Fünf Sekunden war Pause, dann fühlte ich eine sanfte Berührung. Es war Isabelle. »Komm«, sagte sie und schob mich zum Ausgang. Nun überkam ihren Gebieter eine kleine Lähmung. Als wir ungehindert die Stufen erreichten, war mir unwiderruflich bewusst, dass hier Dinge geschahen, die anders funktionierten, als sie laut meiner Erfahrung hätten funktionieren sollen.
Das kurze Stück zum Café Aux Perroquets sind wir gelaufen. Damit der wiedererwachte Danger mich nicht auf offener Straße ohnmächtig prügelte. Wir fanden einen ruhigen Tisch und ohne weitere Verzögerung wurde klar, dass ich Isabelle nicht für drei Centimes interessierte. Auch der Kuss, den sie mir freundlicherweise verabreichte, war kein Nachweis für Begierde. Nur Ausdruck von Dankbarkeit. Weil ich mich von ihr hatte zweckentfremden lassen. Als Eifersuchts-Katalysator, Denkzettel und (harmloses) Racheschwert für und gegen Claude, den Wirrkopf, den sie liebte. Noch immer. Wieder so eine Liebe, die ich bis zum Weltuntergang nicht verstehen werde.
Später kam Rose dazu. Sie strahlte und gab mir den zweiten Kuss des Abends. Ebenfalls aus Dankbarkeit. »Wie recht du hattest«, flüsterte sie, »dieser Barfritze taugt nur als seelenloser Dauerständer.« Rose und Isabelle mochten sich auf Anhieb. Als Monsieur Danger das Café betrat, waren wir bereits unerschrocken und blau.
LAST EXIT
KEN OOSTERBROEK ODER DER MANN, VON DEM ICH MIR WÜNSCHTE, ER WÄRE MEIN FREUND
Hinter der Glasscheibe standen die lässig gekleideten Puppen. Die neue Sommermode war eingetroffen. »Fashion for Men with Future«, hieß das Motto. Die Männer aus weißem Plastik lächelten. In meiner rechten Hand hielt ich die Courtesy Card von Emmanuel Vilakasi. Hier in dieser Boutique, in einer Seitenstraße von Johannesburg, war er wohl Kunde gewesen. Seit etwa 8.30 Uhr nicht mehr. Mister Vilakasi war tot. Massakriert belegte er augenblicklich eine Kühltruhe beim städtischen Gerichtsmediziner.
Kurz zuvor hatte der Mann neben den Gleisen eines der Vorortzüge gelegen. Nachdem ihn seine Widersacher aus dem Fenster geschleudert hatten und ihr Opfer mit sieben Bruststichen auf den Schotter geknallt war. Als die Polizei die Leiche wegschaffte, fiel unbemerkt die blutklebrige Courtesy Card zu Boden. So wusste ich kurze Zeit später, dass die neue Sommermode eingetroffen war. Vermutlich hatte der Einunddreißigjährige nach der Arbeit hier einkaufen wollen. Mode für Männer mit Zukunft.
Am nächsten Morgen standen in der Presse vier Zeilen. Unter »Verschiedenes«: dass einer tot liegengeblieben war. Zu viele endeten hier gewaltsam, als dass die Nachricht mehr Platz hätte beanspruchen können. Der Schlusssatz solcher Meldungen war immer derselbe: » A murder docket was opened«, eine Mordakte ist angelegt worden. Und damit hatte es sich. Vilakasi gehörte zu den 300 Zugleichen des letzten Jahres. Schwarze Leichen, anonym und nutzlos. »Just another body«, meinte einer der Polizeidetektive, der mit dem Eröffnen von Mordakten vollauf beschäftigt war. Wer einmal zwischen zwei Aktendeckeln stand, starb ein zweites Mal. Als Karteileiche. Bis er verschimmelte. Vergessen, übersehen, ungesühnt. Kein einziger Mörder war bis dato verurteilt worden.
Zwei Tage vor dem Fensterwurf war ich angekommen. GEO hatte mich nach Südafrika geschickt, um über die Lage zu berichten. Vom Flughafen in Johannesburg war ich direkt zum Star gefahren, der auflagenstärksten Zeitung des Landes. Um Ken Oosterbroek zu treffen, den Cheffotografen. Er sollte die Bilder für unsere gemeinsame Reportage liefern. Er war dreißig, außergewöhnlich begabt (so sein Ruf) und schwer verliebt: Voller Freude zog er das Foto seiner Frau Monica aus der Brieftasche. Er sah aus wie das blühende Leben, so beschenkt von den Göttern. 513 Tage später würde er tot sein.
Die Szene mit dem gelynchten (modebewussten) Vilakasi war die erste, mit der wir konfrontiert wurden. Sie war typisch für die damalige Situation im Land: Nelson Mandela hatte nach knapp drei Jahrzehnten, am 11. Februar 1990, seine Zuchthauszelle verlassen, aber die ersten freien Wahlen sollten nicht vor dem 26. April 1994 stattfinden. In diesen vier langen Jahren avancierte Südafrika mühelos
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