Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
draußen blieb, außerhalb des Betts: die Trübsal des Alltags, der Geschlechterkampf, die Angst, als tapsiger Beischläfer entlarvt zu werden. Immer ging ich als glücklicher, als beschwingter Mensch von ihr.
Magda war schnell im Kopf, keine: Doof fickt gut! Sie war Dolmetscherin, dreisprachig. Cum laude stand im Abschlusszeugnis. Wir lernten uns auf einem Studentenfest kennen. Schon in derselben Nacht – muss ich es noch hinschreiben? – flog ich aus dem Bett. Sie mochte mich sofort, sagte sie später einmal. Als ich grinsend erwähnte, dass sie viele andere auch sofort mochte, antwortete sie trocken: »Du hast recht. Aber du hältst mir keine Moralpredigten.« Das stimmte. Doch das Wichtigste war ihr entgangen: Ich beneidete sie, ich wusste, dass ich nie leicht werden würde wie sie.
Mit vierzehn verführte sie ihren ersten Mann. Mit fünfzehn wurde sie vergewaltigt. Ihre Lust behütete sie vor einem Trauma. (»Um ein Haar hätte ich es genossen!«). Ihre Freundschaft zu Männern blieb intakt. Die kommenden Jahre beinhalteten eine kurze (müde) Ehe und eine (lange) Serie atemberaubender Höhepunkte.
Was jetzt kommt, wirft kein gutes Licht auf mich, aber genau so war es: Bisweilen verschob ich unser beider Sehnsucht nach Körper und Hitze, schindete Zeit und vermied das Bett. Weil ich vorher eine Geschichte von ihr erzählt haben wollte. Ich hatte einfach Angst, dass ihr nachher die Konzentration fehlte, sie nur rauchen und auschillen wollte.
Hier die erste: Eines Nachts fuhr die Polizei mit Blaulicht in den dunklen Wald, weil besorgte Anwohner glaubten, die verzweifelten Schreie eines Gewaltopfers vernommen zu haben. Im Scheinwerferkegel der Beamten lag aber keine zerstückelte Leiche, sondern die schweißgebadete Magda M . auf der Motorhaube eines Renault 5. Äußerst lebendig, da ein gewisser Norbert M . (nicht der Ehemann), ebenfalls unbekleidet und verschwitzt, sich an ihr zu schaffen machte. Was wiederum dieses missverständliche und überaus ekstatische Gebrüll seiner Partnerin auslöste. Einmal mehr hatte Magda alles um sich herum vergessen. Auch die Fürsorge von Mitmenschen, die ein Leben lang nicht auf die Idee gekommen wären, dass hier ein Beischlaf stattfand und kein Meuchelmord.
»Schreien im Wald ist doch nicht verboten, oder?«, antwortete sie auf die Androhung einer Anzeige wegen öffentlicher Ruhestörung. Magda hatte Glück, sie kam mit einer mündlichen Verwarnung davon. Das passte zu ihr: eine Abmahnung für zu viel Lust.
Warum sie so ausdauernd schrie, war leicht herauszufinden: Magda hatte nie einen Orgasmus, immer nur Orgasmen. Keiner kam je allein. Einmal oben, einmal in Trance, legte nichts mehr sie still. Sie barst, ihr Körper floss über und trieb von einem Taumel in den anderen. Ihre Begabung zur erotischen Hemmungslosigkeit, auch die hätte ich gern gehabt.
Immer wieder sahen wir uns. Trotz Trennung durch weit voneinander entfernte Wohnorte. Wie selbstverständlich begannen wir bei jeder Begegnung umgehend zu kommunizieren. Auf der geistigen, auf der sinnenhaften Ebene. Es gab nichts wegzuräumen, nichts aufzubauen, nichts vorzubereiten. In diesen wenigen Stunden breitete sie ihren Körper und ihre Geschichten vor mir aus. Aus dem Stand. Sie heilte mich, sie versöhnte mich mit meinen Niederlagen bei anderen Frauen. War bedenkenlos Komplizin, wenn es galt, irgendeine Phantasie mitten ins Bett zu holen. Und sie hob meine Ressourcen, entdeckte in meinem Leib Möglichkeiten, von denen er bisher nichts geahnt hatte. Alles an ihr war warm, alles von mir war willkommen. Kalter Sex war ihr fremd, so fremd wie die Scheinheiligkeiten der Monogamie.
Sie pflegte den unanfechtbaren Grundsatz, dass alles erlaubt sei, wenn nur die Teilnehmer – das mussten nicht unbedingt zwei sein – einverstanden waren. Konsequenterweise wollte sie von SM -Praktiken nichts wissen. Magda konnte sich nicht vorstellen, dass Sex mit Schmerzen zu tun haben sollte. Gab es eine absurdere Vorstellung? Sex war Freude, Freudenschreie, Seligkeit.
Eines ihrer Geheimnisse war die Tatsache, dass der »Geschlechtsakt« (was für ein unsinnliches Wort) nichts Besonderes für sie darstellte. Das Heilige, das Unsagbare, fehlte. Er war Alltag, er gehörte zu ihrem alltäglichen Leben. Wie Fremde-Sprachen-Sprechen, wie Atmen, wie Denken. Sie wollte keinen Teil ihrer Gaben vernachlässigen. Sie war »schamlos«, im guten Sinne des Wortes, bar aller (falschen) Scham. Jeder Quadratzentimeter ihrer Haut blühte,
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